Während der Shoah wurden tausende Gedichte, Notizen und Tagebucheinträge geschrieben. Sie zeugen vom geistigen Widerstand der Gefangenen – und vom Wunsch, das Erlebte zu dokumentieren. Im Interview spricht Olga Mannheimer über die stützende Kraft des Schreibens und das Ringen um Würde.
Frau Mannheimer, am 27. September stellen Sie im NS-Dokumentationszentrum München Texte vor, die Gefangene in den Ghettos der Nationalsozialisten geschrieben haben. Welche Einblicke geben uns diese Texte?
Ihre Autoren blicken in den Abgrund. Die nationalsozialistische Vernichtungsmaschine wollte die Jüdinnen und Juden samt ihrer gesamten Kultur auslöschen und die Spuren dieses Verbrechens restlos beseitigen: Der systematische Massenmord zielte nicht nur auf die physische Existenz, sondern auch auf die Seele der Gepeinigten und auf die Erinnerung durch die Nachwelt.
Wie konnte man einem solchen Auslöschungsfeldzug begegnen?
Der Verzweiflung, der Ohnmacht und der Resignation setzten die Chronisten des Holocaust die ihnen verfügbaren Mittel entgegen – oft waren es nur moralische und geistige Mittel, darunter das Schreiben, doch gerade diese haben lebendiges Gedenken ermöglicht.
Viele Schriften von Todgeweihten zeugen von der Hoffnung, dass man sich ihrer und der ihnen widerfahrenen Gewalt erinnert. Die aktuelle Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum über die klandestine Organisation von Emanuel Ringelblum, die solche Zeugnisse für die Nachwelt gesammelt hat, erfüllt diese Hoffnung. Mit dem Gedenkabend am 27. September möchten Salek Kutschinski, Eli Teicher, Susanne Weinhöppel und ich dazu beitragen.