Motiv: Gesicht Zeigen (2024), © Studio Naneci Yurdagül, Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Intervention

MADE IN GERMANY

Kunstintervention von Naneci Yurdagül am Max-Mannheimer-Platz und im NS-Dokumentationszentrum München

12. Juli bis 6. Oktober 2024

Vom 12. Juli bis 6. Oktober 2024 zeigt das NS-Dokumentationszentrum München im Foyer und am Max-Mannheimer-Platz die Kunstintervention MADE IN GERMANY von Naneci Yurdagül.

Mit zwei Installationen stellt Yurdagül grundsätzliche Fragen nach dem Zusammenleben der Menschen: Wie gehen wir miteinander um? Was macht den Menschen aus? Im Innenraum proklamiert der zarte, strahlende Neonschriftzug der Arbeit Ohne Titel a mentsh is a mentsh (2020) die Unbedingtheit und Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen. Dunkel Deutschland (2024) verweist als ortsspezifische Intervention am Max-Mannheimer-Platz auf die komplexe Geschichte deutscher Nationalsymbole und reflektiert die aktuelle Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Demokratie. Ergänzt werden die beiden Arbeiten um das Werk und Bildmotiv Gesicht Zeigen (2024).

In seiner künstlerischen Praxis setzt sich Yurdagül kritisch mit den Themen Herkunft, nationale und religiöse Identität und damit verbundenen Zuschreibungen auseinander. Häufig verwendet er im kollektiven Bewusstsein verankerte Zeichen – etwa religiöse und politische Symbole, kulturelle Praktiken und vor allem Sprache – als Ausdrucksmittel. Yurdagül verändert oder kombiniert sie auf subversive Weise, sodass sie mit neuen Bedeutungen und Assoziationen aufgeladen werden.


Naneci Yurdagül Dunkel Deutschland (2024)

Die deutsche Bundesflagge hat eine lange und komplexe Geschichte. Sie ist Sinnbild für Einheit, Freiheit und Demokratie und wird doch immer wieder für Nationalismus und Ausgrenzung missbraucht. Die Farben Schwarz-Rot-Gold gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, sie sind eng mit der deutschen Freiheits- und Einigungsbewegung verbunden. 1919 wurden sie zur Flagge der ersten deutschen Demokratie. Darauf bezogen sich nach der NS-Herrschaft die Gründer*innen der Bundesrepublik Deutschland und bestimmten die Farben 1949 zu den Bundesfarben, die die demokratischen Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität symbolisieren und heute die nationale Einheit Deutschlands repräsentieren sollen.

Mit seiner neuesten Arbeit Dunkel Deutschland hinterfragt Naneci Yurdagül den Zustand unserer heutigen Demokratie.

Die Installation besteht aus drei Flaggen, die an Fahnenmasten im Außenraum des NS-Dokumentationszentrums gehisst werden. Dabei sind die drei Nationalfarben von Yurdagül einer künstlerischen Bearbeitung unterzogen worden: Aus Schwarz-Rot-Gold wurde Grau-Grau-Grau, wobei die Grauwerte den ursprünglichen Farben angepasst wurden und sich dadurch minimal unterscheiden. Wie schon in seiner Arbeit B.G.M.(2019), bei der Yurdagül die Regenbogenfahne einer Grauwäsche unterzog, verleiht er in Dunkel Deutschland der deutschen Flagge etwas Unheimliches.

Die Korrektur der Farben entspricht der gegenwärtigen Stimmung in Deutschland, dessen demokratische Mehrheit zunehmend ins Wanken gerät. Die Arbeit kann zugleich als politischer Kommentar zu einer Gegenwart gelesen werden, in der rechtsextreme Parteien hohe Wahlergebnisse erreichen und rassistische und antisemitische Gewalttaten zunehmen.

Bedeutsam ist auch der Ort, an dem die Installation Dunkel Deutschland von Yurdagül erstmals gezeigt wird. Inmitten des ehemaligen Parteiviertels der NSDAP verweisen die Flaggen auf antidemokratische Kontinuitäten in der deutschen Geschichte.

Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes erinnert die Intervention daran, dass die durch die Flagge symbolisierten Werte von jedem einzelnen Menschen verteidigt und mit Inhalt gefüllt werden müssen.

Mit Dunkel Deutschland setzt Yurdagül seine Auseinandersetzung mit dem politisch-gesellschaftlichen Zustand Deutschlands fort, die 2001 mit der Kunstinstallation DEUTSCH MICH NICHT VOLL seinen Anfang nahm und die anhaltende Relevanz dieser Themen im Werk des Künstlers markiert.


Naneci Yurdagül Ohne Titel – a mentsh is a mentsh (2020)

Was bedeutet es, Mensch zu sein? Was macht das Menschsein aus? Und was ist eigentlich Menschlichkeit? Das Wort Mentsh stammt aus dem Jiddischen. Es verweist auf das, was den Menschen im Kern ausmacht: ein „wahrer“ Mentsh ist mitfühlend, gerecht, ehrlich und hilfsbereit. „Sei a Mentsh!“, bedeutet Empathie zu haben, menschlich zu sein. Inzwischen hat der Begriff auch Eingang in die US-amerikanische Umgangssprache gefunden.

Naneci Yurdagül schuf seine Arbeit unter dem Eindruck des rechtsterroristischen Attentats in Hanau am 19. Februar 2020. Durch die Übertragung des Satzes ins „Yinglish“, wie Jiddismen im Umgangsenglisch genannt werden, formulierte er mit „a mentsh is a mentsh“ eine Aussage von universeller Gültigkeit. Sie erinnert uns daran, dass für das Menschsein Geschlecht, Herkunft, Religion oder Alter keinerlei Rolle spielen. „A mentsh is a mentsh“, nicht mehr und nicht weniger. Und so steht auch im Grundgesetz die Würde des Menschen an erster Stelle. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller.


Biografie Naneci Yurdagül

Naneci Yurdagül (*Frankfurt am Main) ist ein Bildhauer und Performance-Künstler. Yurdagül studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt am Main und Arts & Performance in Paris. Während seines Studiums schrieb, spielte und inszenierte Yurdagül an verschiedenen deutschen Theatern und arbeitete u. a. zusammen mit René Pollesch, Christof Nel und Peter Greenaway. 

An der Berliner Volksbühne war Yurdagül Teil von Kanak–Attak und inszenierte dort OpelPitbulAutoput (2001) und konkret konkrass (2002). In diesem Zusammenhang zeigte Yurdagül 2001 seine erste öffentliche, große Kunstinstallation: einen 15 Meter langer Schriftzug auf dem Dach der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: DEUTSCH MICH NICHT VOLL.

2005 begann er das Studium der Freien Kunst und Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt am Main, welches er 2011 als Meisterschüler abschloss. Im gleichen Jahr wurde er mit seiner Arbeit UNTITLED MADE IN ISRAEL eingeladen, als erster deutsche Künstler in der Geschichte des Staates Israel, in der Israeli Contemporary Art Collection des Tel Aviv Museum Of Art eben dieses Werk zu zeigen. Im selben Jahr inszenierte er in Tel Aviv seine renommierte Performance LADY GAZA.

Seitdem waren und sind seine Werke und Performances in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, u.a. in der Bundeskunsthalle, Bonn, dem Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, der Staatlichen Kunsthalle, Baden-Baden, dem Schauspielhaus Frankfurt, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, der 14. Istanbul Biennale, dem Jüdischen Museum Rendsburg und dem Kunstmuseum, Wolfsburg. Yurdagül wird durch die Knust Kunz Gallery in München vertreten. Er lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Athen.

Pressebilder

Naneci Yurdagül Gesicht Zeigen (2024), © Studio Naneci Yurdagül. Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024 | Gestaltung: Zeichen & Wunder

Naneci Yurdagül, Ohne Titel – a mentsh is a mentsh (2020), Installation im NS-Dokumentationszentrum, 2024 | © Studio Naneci Yurdagül, Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: NS-Dokumentationszentrum München, Connolly Weber

Naneci Yurdagül, Ohne Titel – a mentsh is a mentsh (2020), Installation im NS-Dokumentationszentrum, 2024 | © Studio Naneci Yurdagül, Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: NS-Dokumentationszentrum München, Connolly Weber

Naneci Yurdagül, Dunkel Deutschland (2024), Installation am NS-Dokumentationszentrum, 2024 | © Studio Naneci Yurdagül, Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: NS-Dokumentationszentrum München, Victor Holz

Naneci Yurdagül, Dunkel Deutschland (2024), Installation am NS-Dokumentationszentrum, 2024 | © Studio Naneci Yurdagül, Frankfurt am Main / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: NS-Dokumentationszentrum München, Victor Holz

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