Alliierte Kriegsgefangene beim Gleisbau in München 1943 | © Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: ein alltägliches Massenverbrechen

Zwischen 1939 und 1945 wurden allein im Deutschen Reich etwa 13,5 Millionen Frauen, Männer und Kinder aus ganz Europa als Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Rechnet man die damals besetzten Gebiete dazu, erhöht sich die Zahl auf schätzungsweise 25 Millionen. Ohne die massenhafte Verschleppung und Ausbeutung von Zwangsarbeiter*innen hatte das NS-Regime den Krieg nicht so lange führen können.

Unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen

Zwangsarbeit war allgegenwärtig – in allen Arbeits- und Lebensbereichen und nicht nur in den sogenannten ‚kriegswichtigen‘ Betrieben der Rüstungsindustrie. 1944 war jede*r vierte Beschäftigte im Deutschen Reich zwangsbeschäftigt. 43% aller ausländischen Zwangsarbeiter*innen wurden in der Industrie eingesetzt. Andere Einsatzgebiete waren die Landwirtschaft (36%), der Dienstleistungsbereich (12%), das Baugewerbe (6%) und der Bergbau (3%).

Allein mehr als 200.000 junge Frauen aus Osteuropa wurden als Kinder- und Dienstmädchen zwangsbeschäftigt. Der Großteil der Zwangsarbeiter*innen wurde inmitten deutscher Städte und Dörfer untergebracht: in eigens errichteten Barackenlagern, in zu Lagern umfunktionierten Schulen, in Turnhallen oder Gasthäusern. Damit Unternehmen die ausländischen Arbeitskräfte zugeteilt bekamen, mussten sie Unterkünfte bereitstellen. Über 30.000 solcher Sammelunterkünfte gab es im Deutschen Reich – das entspricht in etwa der heutigen Anzahl an Supermärkten und Lebensmittelläden in Deutschland.

Es gab unterschiedliche Gruppen von Zwangsarbeiter*innen im Deutschen Reich, darunter etwa 8,5 Millionen zivile Zwangsarbeiter*innen, 4,6 Millionen Kriegsgefangene und 1,7 Millionen KZ-Häftlinge, die Zwangsarbeit leisteten. Diese Kategorien konnten auch verändert werden: So wurden beispielsweise viele italienische und sowjetische Kriegsgefangene in den Zivilstatus überführt, um sie in der Rüstungsindustrie einzusetzen, auch wenn das den internationalen Kriegskonventionen widersprach. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter*innen unterschieden sich teilweise erheblich. Sie hingen nicht nur vom zugeschriebenen Status, sondern auch von der Art der Tätigkeit, der Unterbringung, der Ernährungslage oder der Behandlung durch die Vorgesetzten ab.  

Deportation von Arbeitskräften

Die zivilen Zwangsarbeiter*innen stammten überwiegend aus der Sowjetunion und Polen. Große Gruppen kamen aber auch aus Frankreich, Italien und den Niederlanden. Mittels Propaganda wurde für den Arbeitseinsatz anfangs noch geworben. Eine geringe Zahl von Menschen ließ sich von den falschen Versprechungen des NS-Regimes täuschen und meldete sich freiwillig.

Im Laufe des Krieges kam es immer mehr zum Zwangseinsatz und zu Deportationen ganzer Jahrgänge von Menschen. Besonders aus Osteuropa wurden junge Frauen, Familien, Kinder, Jugendliche und alte Menschen verschleppt.

Archivaufnahme von Frauen mit schwerem Gepäck, die einen Viehwaggon am Kiewer Hauptbahnhof besteigen.

Unter unwürdigen Bedingungen wurden Menschen in Güter- und Viehwaggons ins Deutsche Reich verschleppt, 1942. | © Bundesarchiv, Bild 183-R70660

Rassistische Rangordnung

Die Nationalsozialist*innen unterschieden kategorisch zwischen verschiedenen Nationalitäten, politischer Gesinnung, religiöser und ethnischer Zugehörigkeit. Ihr rassistisches Menschenbild spiegelte sich in einer hierarchischen Ordnung der Zwangsarbeiter*innen wider. Der Grad an Freiheit, die Essensrationen und die Löhne richteten sich nach der Zuschreibung zu einer bestimmten Gruppe.

So waren beispielsweise Kriegsgefangene in der Regel schlechter gestellt als zivile Zwangsarbeiter*innen und Menschen aus Osteuropa schlecht als Menschen aus Westeuropa. Sowjetische Zwangsarbeiter*innen wurden als ‚Ostarbeiter‘ abgewertet und, italienische Kriegsgefangene als ‚Italienische Militärinternierte‘ (IMI). Am unteren hierarchischen Ende der nationalsozialistischen Rassenideologie standen politische Häftlinge, Sinti*zze und Rom*nja und Jüdinnen*Juden.

Ein viereckiger Aufnäher in der Farbe gelb mit lila Rändern und einem hervorgehobenem ‚P‘.

Polnische Zwangsarbeiter*innen wurden ab 1940 dazu verpflichtet einen Aufnäher mit dem Buchstaben ‚P‘ an ihrer Kleidung sichtbar zu tragen. | © Wikimedia Commons, Sjam2004

Kriegsende – wie weiter?

Schätzungsweise 2,7 Millionen Menschen sind während ihres Einsatzes als Zwangsarbeiter*in gestorben oder ermordet worden: dazu zählen ca. 1,1 Million KZ-Häftlinge und sogenannte ‚Arbeitsjuden‘), 1,1 Million sowjetische Kriegsgefangene und 500.000 zivile Zwangsarbeiter*innen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges befanden sich Millionen von Menschen außerhalb ihrer Heimatländer. Zwar wurde die Rückführung von ausländischen Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen bereits 1944 von den Alliierten beschlossen, diese war aber ein langwieriger bürokratischer Prozess. Als ‚Displaced Persons‘ (DPs) mussten viele auch nach der Befreiung im Frühjahr 1945 noch wochenlang in Lagerunterkünften leben.

Besondere Regelungen gab es für sowjetische Bürger*innen, die nach Überstellung an die zuständigen Behörden in Prüf- und Durchgangslagern umfangreichen Verhören ausgesetzt wurden. Viele von ihnen wurden verdächtigt Kollaborateur*innen oder Deserteur*innen zu sein.

 

Zwangsarbeit – (k)ein vergessenes Verbrechen

Nach der Rückkehr in ihre Heimatländer sahen sie sich viele Zwangsarbeiter*innen mit Misstrauen und Vorurteilen konfrontiert. Ihnen wurde teils vorgehalten, für mit den Nationalsozialist*innen kollaboriert zu haben. Auch in den Familien der Betroffenen wirkten die nationalsozialistischen Verbrechen nach, sowohl gesundheitlich, wirtschaftlich als auch in ihren sozialen Beziehungen.

In Deutschland wurden Zwangsarbeiter*innen erst spät und nur teilweise als Opfer anerkannt. Während die Verschleppung und Ausbeutung von Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch einer der zentralen Anklagepunkte bei den Nürnberger Prozessen war, wurde das Verbrechen bald darauf in West- als auch Ostdeutschland bagatellisiert und als Begleiterscheinung des Krieges verharmlost.

Das Ringen um finanzielle Entschädigung

Bis zu Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter*innen war es ein langer Weg. Die BRD zahlte in den 1950er-Jahren Entschädigungszahlungen vorerst nur an bestimmte Länder. Die Länder der Sowjetunion, aus der die mit Abstand meisten Zwangsarbeiter*innen kamen, zählte nicht dazu. Einige große deutsche Unternehmen zahlten gewisse Beträge an die Jewish Claims Conference (JCC). Diese gingen vorwiegend an solche Zwangsarbeiter*innen, die auch in KZ-Lagern inhaftiert waren.

Die DDR weigerte sich generell, Entschädigungszahlungen an ausländische Opfer des Nationalsozialismus zu tätigen. Im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands einigte man sich mit Polen, Belarus, Russland und der Ukraine auf bestimmte Zahlungen.

Ende der 1990er Jahre begann eine größere gesellschaftliche Debatte um Entschädigungszahlungen an ehemalige ausländische Zwangsarbeiter*innen in Deutschland – nicht zuletzt aufgrund von Boykottdrohungen und Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen im Ausland. Daraufhin wurde die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) gegründet, um Zahlungsforderungen von ehemaligen Zwangsarbeiter*innen in ihren Heimatländern geltend zu machen. Finanziert wurde die Stiftung aus Mitteln der Bundesregierung und der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft.

 

Mit Zeitungsannouncen wie diese wollten verschiedene Überlebendenverbände deutsche Unternehmen zu Entschädigungszahlungen drängen, New York Times 1999 | © picture alliance / REUTERS / Molly Riley

70 Jahre danach: Sowjetische Kriegsgefangene werden entschädigt

Viele Opfer der nationalsozialistischen Zwangsarbeit wurden jedoch nie finanziell entschädigt, entweder weil sie zuvor verstorben waren oder weil ihnen keine Berechtigung zugesprochen wurde. Ehemalige westeuropäische Zwangsarbeiter*innen wurden beispielsweise nicht anerkannt, Kriegsgefangene lange gänzlich ausgeschlossen.

Erst 2015 beschloss der Bundestag, den damals wenigen noch lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen eine Entschädigung zu zahlen. Italienische Kriegsgefangene haben bis heute nur eine symbolische Anerkennung erhalten.