Heimrad Bäcker. es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben* Ausstellung

12. Nov 2020 bis 6. Juni 2021

Über die Ausstellung

Die Ausstellung widmete sich dem fotografischen Nachlass des Schriftstellers und Verlegers Heimrad Bäcker (1925-2003). Seit 2015 befindet sich dieses Konvolut von über 14.000 Einzelobjekten, die Zeugnis einer lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Holocaust ablegen, im Wiener mumok. Eine Auswahl von Fotografien, Notizen, Textarbeiten und Fundstücken wurde im NS-Dokumentationszentrum München gezeigt. Bäckers Fotografien entstanden zum Teil lange bevor es eine öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Orten der Verbrechen gab. Sie dokumentieren den Zustand der ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen und Gusen in Oberösterreich, die von Pflanzen überwuchert oder aber bewusst einer anderen Verwendung zugeführt worden waren. Ergänzt wurden die Fotografien und Fundstücke durch Ausschnitte aus Bäckers nachschrift, einer dichterischen Auseinandersetzung mit Zeugnissen von Täter*innen und Opfern der Shoah, sowie durch die Sound-Arbeit Ein mörderischer Lärm von Tatiana Lecomte und Rainer Iglars Fotostrecke Mauthausen 1974.

Die Arbeiten Bäckers dokumentieren einen Moment des Übergangs, in dessen Folge ehemalige, vergessene oder ignorierte Orte der Verfolgung und Vernichtung als Gedenkorte wahrgenommen wurden und zum ersten Mal eine zentrale Rolle in der Erinnerungskultur erhielten.
 

*Zitiert nach Heimrad Bäcker, nachschrift 2, edition neue texte, Graz 1997, hg. von Friedrich Achleitner und Thomas Eder, S. 5. Bäcker zitiert dabei eine Eintragung eines unbekannten Verfassers vom 25. Juli 1944 aus einem Tagebuch aus dem Getto Lodz, nach: Unser einziger Weg ist Arbeit. Das Getto Lodz 1940–1944, Frankfurt/Wien 1990, S. 268.

Infos

Laufzeit
12. Nov 2020 bis 6. Juni 2021

Social Media
#HeimradBäcker | @nsdoku

Kuratorinnen
Marie-Therese Hochwartner, Nora Linser und Susanne Neuburger

Kooperation
Eine Ausstellung konzipiert vom mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München

Heimrad Bäcker: Schriftsteller, Verleger und wichtiger Vertreter der konkreten Poesie

Heimrad Bäcker wurde 1925 in Wien-Kalksburg geboren. Er wuchs in prekären Lebensverhältnissen auf und lebte nach der frühen Trennung seiner Eltern in Ried im Innkreis und in Linz. Im Alter von sechs Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, von der er eine leichte Behinderung davontrug. In der Folge des ‚Anschlusses‘ Österreichs an NS-Deutschland im März 1938 erlebte die völlig verarmte Familie einen bescheidenen sozialen Aufstieg. Der Vater fand Arbeit, Sohn Heimrad eine Heimat in der Hitler-Jugend, die ihm die ersehnte Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft versprach und Perspektiven zu eröffnen schien. 1941 bis 1943 arbeitete der begeisterte NS-Anhänger als Volontär bei der Linzer Tages-Post. Aufgrund seiner Behinderung vom Wehrdienst freigestellt, war Bäcker danach in der Presse- und Fotostelle der HJ-Gebietsführung Oberdonau in Linz tätig, zuletzt im Rang eines Gefolgschaftsführers.

Im Mai 1945, unmittelbar nach Kriegsende, wurde er von der US-amerikanischen Besatzungsmacht zu Arbeiten im Krankenlager des befreiten KZ Mauthausen zwangsverpflichtet. Unter dem Eindruck des dort Gesehenen wandte sich Bäcker dauerhaft vom Nationalsozialismus ab. Die Konfrontation mit den Opfern des NS-Terrors stand am Beginn einer jahrzehntelangen persönlichen wie künstlerischen Auseinandersetzung mit der NS-Gewaltherrschaft.

Nach dem nachgeholten Abitur und einem Studium der Philosophie, Soziologie und Völkerkunde in Graz und Wien, das er 1953 mit einer Dissertation über Karl Jaspers abschloss, arbeitete Bäcker als Fachreferent für Geisteswissenschaften an der Volkshochschule Linz. 1976 gab er diese Tätigkeit auf, um sich ganz seinem Verlag edition neue texte zu widmen, den er im selben Jahr zusammen mit seiner Frau Margret gegründet hatte. Hervorgegangen aus der seit 1968 von Bäcker herausgegebenen experimentellen Literaturzeitschrift neue texte, bot der Verlag der österreichischen Avantgarde eine Plattform. Daneben setzte sich Bäcker, der sich seit den 1950er Jahren auch selbst literarisch betätigte, mit seinem Lebensthema, dem Holocaust, auseinander. 1986 veröffentlichte er mit nachschrift sein bedeutendstes Werk, 1997 folgte nachschrift 2. Bäcker zitiert darin aus historischen Quellen – offiziellen Dokumenten der Judenverfolgung, aber auch Selbstzeugnissen – und arrangiert diese aus dem jeweiligen Kontext gerissenen Zitate mit den Mitteln der konkreten Poesie zu einer einzigartigen dokumentarischen Dichtung.

Vielfach für sein beispielloses Werk ausgezeichnet, stifteten er und seine Frau kurz vor seinem Tod 2003 selbst einen Literaturpreis - den jährlich verliehenen Heimrad-Bäcker-Preis. Bäckers literarischer Nachlass liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek, sein fotografischer Nachlass im mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig.

Porträtaufnahme von Heimrad Bäcker | © Linschinger

Online-Eröffnung am 11. Nov. 2020

Eröffnung

Florian Roth (Stadtrat der Landeshauptstadt München), Anton Biebl (Kulturreferent der Landeshauptstadt München) und Mirjam Zadoff (Direktorin des NS-Dokumentationszentrum München) sprachen Grußworte zur Eröffnung der Ausstellung.

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Teaser zur Ausstellung

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Online-Begleitprogramm

Gespräch

19. Jan. 2021 | „der schreiber schreibt“
Die Schriftstellerin Ann Cotten sprach mit dem Literaturwissenschaftler Florian Huber über den österreichischen Dichter Heimrad Bäcker und sein Werk nachschrift.

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Diskussion

10. Feb. 2021 | Historische Orte und künstlerische Interventionen
Die Künstler*innen Christiane Huber, Leon Kahane und Franz Wanner gaben Einblicke in aktuelle Projekte und diskutierten gemeinsam Potentiale, Chancen und Herausforderungen, historische Orte mit Mitteln der Kunst zugänglich zu machen und in den öffentlichen Blick zu rücken.

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Diskussion

24. Feb. 2021 | In Transition. Erinnerungsorte im Übergang
Wo stehen wir heute im Prozess der Institutionalisierung von Gedenk- und Erinnerungsorten? Darüber diskutieren Gabriele Hammermann (KZ-Gedenkstätte Dachau), Bertrand Perz (Universität Wien), Stefanie Schüler-Springorum (TU Berlin) und Mirjam Zadoff (NS-Dokumentationszentrum München) mit Niels Beintker (Bayerischer Rundfunk)

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Vortrag

March 11, 2021 | Architecture as Evidence – The Case of Auschwitz
Architectural historian Robert Jan van Pelt talked about his architectural forensic investigation that provided evidence in a trial against a Holocaust denier.

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Gespräch

18. März 2021 | Kuratorinnen-Gespräch
Mirjam Zadoff sprach mit der Kuratorin des mumok, Marie-Therese Hochwartner, über Heimrad Bäckers Biografie, sein fotografisches und literarisches Werk und dessen Bedeutung für die Erinnerungskultur in Deutschland und Österreich.

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Diskussion

3. Mai 2021 | Dark Tourism. Reisen zu Stätten von Krieg, Massengewalt und NS-Verfolgung
Frank Bajohr (Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte), Axel Drecoll (Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) und Beate Meyer (Institut für die Geschichte der deutschen Juden) spürten dem Phänomen des Dark Tourism in Deutschland und Europa nach und warfen einen kritischen Blick auf dessen Folgen für die gegenwärtige Erinnerungskultur

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Videoinstallation zum Internationalen Holocaust-Gedenktag

Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2021 zeigt das NS-Dokumentationszentrum München eine Videoinstallation an seiner Außenfassade. Die Projektion beinhaltete Fotografien Heimrad Bäckers aus den ehemaligen Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen und zitierte Passagen aus Bäckers Hauptwerk nachschrift. Die Installation erweiterte somit die Ausstellung in den Außenraum.

nachschrift ist aus Bäckers jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust hervorgegangen (erstmals erschienen 1986, ergänzt und erweitert 1997 durch nachschrift 2). Beeinflusst von der Konkreten Poesie, verwebt er darin Zitate aus historischen Schriftquellen der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und des Holocaust zu einer dokumentarischen Dichtung ganz eigener Art: Textfragmente aus amtlichen Verlautbarungen, Befehlen, Beschlagnahme-, Deportations- und Exekutionslisten, Statistiken, Briefen und Aufzeichnungen von Tätern wie Opfern. Aus den ursprünglichen Kontexten genommen, montiert und arrangiert er diese neu.

„Es genügt, die Sprache der Täter und der Opfer zu zitieren. Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist. Zusammenfall von Dokument und Entsetzen, Statistik und Grauen.“ so Heimrad Bäcker über seinen Umgang mit den historischen Texten. Poetisch verdichtet, wird das verwendete Sprachmaterial zu einer ebenso präzisen wie schonungslosen Dokumentation des Grauens.

Gestaltet wurde die Projektion von der Agentur WE ARE VIDEO.

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Blick in die Ausstellung

© NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography

© NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography

© NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography

© NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography

© NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography