Bereits während der Weimarer Republik wurde mit den Begriffen ‚Musikbolschewismus‘ und ‚Entartete Musik‘ oftmals moderne, zeitgenössische Musik bezeichnet. Im Gegensatz zu dem in konservativen Kreisen üblichen politischen Schlagwort des ‚Musikbolschewismus‘, das in einem abwertenden Sinne nicht nur linksgerichtete, sondern auch generell progressive Musik bezeichnete, klassifizierte der Sammelbegriff ‚Entartete Musik‘ als biologistische Kategorie vor allem Werke jüdischer Komponisten als ‚von Natur aus‘ minderwertige Musik.
Es blieb nicht bei der verbalen Diffamierung. Nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus im Jahr 1933 wurde auch tatkräftig dafür gesorgt, dass ‚entartete‘ Musik nicht mehr aufgeführt und aus den Spielplänen verbannt wurde. Viele Musiker*innen, insbesondere diejenigen, die als politisch missliebig galten und/oder jüdischer Abstammung waren, wurden diffamiert, verfemt und verfolgt. Darüber hinaus verfügten die NS-Machthaber, dass auch Musik von bereits verstorbenen ‚nicht-arischen‘ Komponist*innen, wie z.B. Felix Mendelsohn Bartholdy oder Gustav Mahler, nicht mehr gespielt werden durfte. Etliche Komponisten, wie z.B. Arnold Schönberg, Ernst Krenek, Erwin Schulhoff oder Ernst Toch, mussten emigrieren. Viktor Ullmann, Hans Krása und viele andere wurden in Vernichtungslagern ermordet.
Organisiert wurde diese ‚Selektion‘ nicht nur durch institutionelle Einrichtungen wie die Reichsmusikkammer, sondern auch durch aktive ‚Mithilfe‘ einzelner Personen. Für die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf konzipierte und organisierte der damalige Generalintendant des Weimarer Nationaltheaters, Hans Severus Ziegler, die Ausstellung Entartete Musik nach dem Vorbild der Münchner Ausstellung Entartete Kunst. Zieglers Ausstellung konnte jedoch an den ‚Erfolg‘ der Kunstausstellung nicht anschließen, obwohl auch er sich der bewährten Diffamierungs- und Denunziationstrategien des Nationalsozialismus bediente. Zieglers Feindbild war die Neue Musik, generell Musik von jüdischen Komponist*innen und vor allem die Jazzmusik. Letzteres illustrierte auch das von Ludwig Tersch erstellte Werbeplakat. In Anlehnung an das Titelbild der Partitur von Ernst Kreneks Jonny spielt auf wird die Karikatur eines afro-amerikanischen Saxophonisten abgebildet, der am Revers einen Davidstern trägt. Dieses Motiv wurde auch für die Begleitpublikation Entartete Musik – Eine Abrechnung von Staatsrat Dr. H. S. Ziegler genutzt.
Seinen großen Willen zur ‚Säuberung‘ des deutschen Kulturlebens hatte Ziegler schon früh unter Beweis gestellt. Bereits in den 1920er-Jahren war er eine zentrale Figur des Weimarer Kulturlebens, gab im Dunstkreis des völkisch-nationalistischen Literaturwissenschaftlers Adolf Bartels einschlägige Publikationen heraus, war zeitweise stellvertretender Gauleiter der NSDAP und mit Hitler persönlich gut bekannt. Mit seiner Ausstellung Entartete Musik agierte er innerhalb biologistisch-rassistischer Kategoriensysteme, die sich vereinfachender Gegensatzpaare wie ‚arteigen‘ – ‚entartet‘ oder ‚gesund‘ – ‚krank‘ bedienten.
Diese Terminologie und ihre ideologische Ausprägung waren bereits im 19. Jahrhundert gängig. ‚Entartung‘ war ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein häufig gebrauchter Begriff, der meist im Sinne von ‚Degeneration‘ verwendet wurde. Sein Bedeutungsfeld war weitgespannt und schloss wissenschaftliche, gesellschaftspolitische und künstlerische Aspekte mit ein. Vielfach wurde er auch in medizinischen Zusammenhängen gebraucht, mit einem starken Bezug zu Vererbungslehre und Rassentheorien.
Ein zentrales Werk der ‚Entartungstheorie‘ stellte Max Nordaus Schrift Entartung (1892) dar. Sie war gleichermaßen Kritik am Fin de siècle wie Ausdruck der allgemeinen bürgerlichen Weltschmerz- und Endzeitstimmung. Nordau löste mit seiner Publikation eine heftige Kontroverse aus, da er den Begriff nicht nur allgemein auf die moderne ‚krankhafte‘ Stadtgesellschaft bezog, sondern damit auch moderne Kunstströmungen als „Wahnsinns-Elemente“ kennzeichnete. Musikästhetische Schriften der 1920er-Jahre nahmen z.T. Nordaus Kategorien wieder auf. Insbesondere Hans Pfitzners musikästhetische Arbeiten sind durchweg von irrationaler, chauvinistischer und antisemitischer Polemik überzogen. Auch er beurteilte die moderne Musik nicht nur als „atonales Chaos“, sondern sah sie als Ausdruck des gesellschaftlichen Niedergangs: „Die künstlerische Verwesung ist das Symptom der nationalen. [...] Sage mir, welche Kunst im Volke gedeiht, und ich will dir sagen, wie der Gesundheitszustand des Volkes ist“ (Hans Pfitzner, S. 125).
1988 wurde Zieglers Ausstellung Entartete Musik von dem Musikwissenschaftler Albrecht Dümling und dem Intendanten Peter Girth rekonstruiert. Sie dokumentiert den kulturpolitischen Vernichtungswillen der Nationalsozialisten. Als Wanderausstellung wurde sie bereits in vielen Ländern gezeigt. Eine neue Version wurde von Dümling 2007 im Auftrag der Berliner Philharmoniker und der Tonhalle Düsseldorf unter dem Titel Das verdächtige Saxophon – ‚Entartete Musik' im NS-Staat erarbeitet.