Der Landeskirchenrat am Münchner Königsplatz

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Verfasst von Nora Andrea Schulze

Dienstgebäude der obersten Leitung und Verwaltung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Als „Landeskirchenrat“ wurde bis in die 1970er Jahre das Dienstgebäude des gleichnamigen kirchenleitenden Gremiums und des Kirchenpräsidenten (ab 1933: Landesbischof) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bezeichnet. Neben Landeskirchenrat und Kirchenpräsident beherbergte das Gebäude noch weitere kirchenleitende Organe, die Dienstwohnung des Kirchenpräsidenten und eine Ausbildungsstätte für den Pfarrernachwuchs. Das Gebäude wurde 1928/29 in der damaligen Arcisstraße (heute: Katharina-von-Bora-Straße) 13 in unmittelbarer Nähe zum Königsplatz errichtet. Der Neubau war ein Symbol für die nach Ende des Ersten Weltkriegs gewonnene Selbstständigkeit der Landeskirche gegenüber dem Staat.

Während der NS-Herrschaft mitten im Münchner NSDAP-Parteiviertel und in Sichtweite des ‚Braunen Hauses‘ gelegen, wurde der Landeskirchenrat im Herbst 1934 zum Schauplatz von Protestversammlungen von Gemeindegliedern, die Hitler seine erste innenpolitische Niederlage beibrachten. Die Proteste richteten sich gegen die mit Rückendeckung der NS-Machthaber erfolgten Versuche, Landesbischof Hans Meiser abzusetzen. Dieser weigerte sich, die Landeskirche in die von den NS-hörigen Deutschen Christen geleitete Reichskirche einzugliedern und so zu einem willfährigen Instrument des NS-Regimes zu machen.

Zu ersten Protesten kam es im September 1934, nachdem die fränkische NSDAP-Gauleitung unter der Parole „Fort mit Landesbischof Meiser“ eine Hetzkampagne gegen den Bischof inszeniert hatte. Zur Überraschung der NS-Machthaber bewirkte die Kampagne jedoch das Gegenteil, nämlich eine überwältigende Solidarisierung von Pfarrern und Gemeindegliedern mit dem Bischof. Als Meiser am Tag nach der Hetzkampagne in der überfüllten Münchner Matthäuskirche predigte, kam es vor der Kirche zu demonstrationsartigen Kundgebungen für seinen Verbleib im Amt. Es formierte sich ein Protestzug, der zum Landeskirchenrat zog, wo Meiser vom Balkon aus zu der aufgebrachten Menge sprach. Der Protestzug bewegte sich bis vor das ‚Braune Haus‘, wo die Polizei die Demonstration schließlich auflöste.

Im Oktober 1934 weiteten sich die Proteste in München und anderen bayerischen Städten dann zu einem „frommen Volksaufstand“ (Nicolaisen, S. 7) aus. August Jäger, enger juristischer Mitarbeiter von Reichsbischof Ludwig Müller, war zuvor gewaltsam in den Landeskirchenrat eingedrungen, hatte die Kirchenleitung beurlaubt und den auf Reisen befindlichen Meiser abgesetzt. Als der Bischof nach München zurückkehrte, erwartete ihn an der Matthäuskirche eine große Menschenmenge. Auch vor dem Landeskirchenrat, wo Meiser in seiner Dienstwohnung in polizeilich bewachten Hausarrest gesetzt wurde, versammelten sich zahlreiche Gemeindeglieder und demonstrierten für den Bischof. Während Meisers Arretierung kam es zu weiteren Versammlungen, bei denen Münchner und angereiste auswärtige Gemeindeglieder im Hof des Landeskirchenrats Gottesdienste abhielten und bei  Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp, Ministerpräsident Ludwig Siebert, im Kultusministerium sowie im ‚Braunen Haus‘ Protest einlegten. Sie hatten Erfolg: Weil die öffentliche Unruhe Hitlers Interessen zuwiderlief und er schwere außenpolitische Folgen befürchtete, wurde Meiser nach zwei Wochen aus dem Hausarrest entlassen und die Kirchenleitung nahm den Landeskirchenrat wieder in Besitz.

Die Straßenproteste, zu denen es während der NS-Herrschaft kaum Parallelen gab, machen den Landeskirchenrat zu einem historisch bedeutsamen Ort. Die Proteste brachten Hitlers anfängliche kirchenpolitische Strategie, die gesamte evangelische Kirche mit Hilfe der NS-hörigen Deutschen Christen gleichzuschalten, zu Fall. Als politischer Widerstand gegen das NS-Regime oder seine Verbrechen wie die Beseitigung der politischen Gegner und vor allem die Judenverfolgung sind die Proteste jedoch nicht zu werten. Gegen das NS-Regime gerichtete politische Ziele schlossen die Beteiligten vielmehr explizit aus und bekundeten zugleich zu den Protesten vielfach ihre Loyalität zum NS-Staat. Der Protest galt ausschließlich dem Erhalt von Bekenntnis, Ordnung und Selbstständigkeit der Landeskirche und stellte auch keine Solidarisierung mit außerkirchlichen Opfern des NS-Regimes dar.

Das Landeskirchenratsgebäude geriet nach 1934 noch ein weiteres Mal ins Visier der Nationalsozialisten: Nachdem die NSDAP bereits die meisten Gebäude um den Königsplatz in ihren Besitz gebracht hatte, drängte die Partei seit 1937 auf den Ankauf des Landeskirchenrates, was wohl nur am Kriegsbeginn scheiterte. Der Landeskirchenrat wurde 1943 durch Bombenangriffe schwer beschädigt und von der Kirchenleitung erst 1948 wieder bezogen. Heute ist der frühere Landeskirchenrat Teil eines mehrere Gebäude umfassenden Ensembles an der Katharina-von-Bora-Straße zwischen Karlstraße und Königsplatz, in dem neben den kirchenleitenden Organen zahlreiche Dienststellen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ihren Amtssitz haben.      

Quellen

Hübner, Hans-Peter: „Zur Ehre Gottes und zum Dienst seiner Gemeinde auf Erden“ – Texte und Bilder zur Geschichte des Landeskirchenamtes der Evang.-Luth. Kirche in Bayern 1929–2009. Hg. vom Landeskirchenamt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, München 2009.
Evangelische Kirchenleitung am Königsplatz in München. Hg. von Hans-Peter Hübner und Michael Maier im Auftrag des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, München 2015.
Nicolaisen, Carsten: Kirchenkampf in Bayern vor 70 Jahren. „Unseres Führers allergetreueste Opposition“. In: Rothenburger Sonntagsblatt Nr. 41 vom 10. Oktober 2004, S. 4–7.
Schulze, Nora Andrea: „Frommer Volksaufstand“ im Zentrum der braunen Macht. In: Evangelische Kirchenleitung am Königsplatz in München, S. 80–89.
Schulze, Nora Andrea: Hans Meiser. Lutheraner - Untertan - Opponent. Eine Biographie, Göttingen 2021.

Empfohlene Zitierweise

Nora Andrea Schulze: Landeskirchenrat (publiziert am 16.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/landeskirchenrat-482