Albert Lempp (Lempp-Kreis) / Münchner Laienbrief

Biografien
Verfasst von Nora Andrea Schulze

Ein mutiger Protest evangelischer Christen gegen die Judenvernichtung

Albert Lempp (1884-1943) | Privatbesitz Familie Lempp

In den 1930er-Jahren sammelte sich um den Inhaber des Münchner Christian Kaiser Verlags und der gleichnamigen Buchhandlung im Rathaus, Albert Lempp, und seine Frau Maria ein Kreis von evangelischen Lai*innen und Theologen, die sich gegen die Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen*Juden stellten. Zu diesem Kreis gehörten Verleger, Pfarrer, Juristen und ihre Ehefrauen, darunter der in München lebende Schweizer Verleger Walter Classen, der Münchner Amtsrichter Emil Höchstädter, der Orientalist an der Münchner Universität Wilhelm Hengstenberg, der württembergische Bekenntnispfarrer Hermann Diem, der zwangspensionierte Wustermarker Superintendent Carl Gunther Schweitzer, die Münchner Pfarrer Kurt Frör, Karl Nold und Walther Hennighaußen, der Münchner Zahnarzt Kurt Wilhelm Lendtrodt und seine Schwester Emmy sowie der Stuttgarter reformierte Pfarrer Kurt Müller.

Die Zusammenkünfte des Kreises fanden in Lempps Haus in der Isabellastraße 20 und der Wohnung der Familie Classen in der Theresienstraße 19 statt. Die Treffen waren als Bibelstunden deklariert, dienten aber nicht nur dem Bibelstudium, sondern auch der Lektüre oppositioneller Literatur und nahmen zunehmend konspirativen Charakter an. Das Schicksal des wegen seiner jüdischen Herkunft zwangspensionierten Carl Gunther Schweitzer und anderer rassisch verfolgter Menschen veranlasste Lempp und weitere Mitglieder des Kreises dazu, rassisch verfolgten Mitbürger*innen Hilfe zu leisten. Lempp selbst beschäftigte in seinen Betrieben „nichtarische“ Mitarbeiter*innen; 1938 half er seinem engen Mitarbeiter, dem Dramaturgen, Schauspieler, Dichter und Romanautor Otto Salomon und dessen Frau bei der Flucht in die Schweiz. Während des Zweiten Weltkriegs versteckte er in seinem Haus die Buchbinderin und -restauratorin Irmgard Meyenberg.

Das öffentliche Schweigen der evangelischen Kirchenleitungen zur Judenvernichtung war für die Mitglieder des Kreises unerträglich. Deshalb ergriffen sie schließlich selbst die Initiative und erarbeiteten zu Ostern 1943 den sog. Münchner Laienbrief, einen „der bedeutendsten Beiträge der zeitgenössischen Theologie zur NS-Judenverfolgung“ (Röhm/Thierfelder, S. 283). In diesem Brief, der auf einen Entwurf von Hermann Diem zurückging, hieß es: „Als Christen können wir es nicht mehr länger ertragen, daß die Kirche in Deutschland zu den Judenverfolgungen schweigt. In der Kirche des Evangeliums sind alle Gemeindeglieder mitverantwortlich für die rechte Ausübung des Predigtamtes. Wir wissen uns deshalb auch für sein Versagen in dieser Sache mitschuldig. Der zur Zeit drohende nächste Schritt: die Einbeziehung der sog. ‚privilegierten‘ Juden in diese Verfolgung unter Aufhebung der nach Gottes Gebot gültigen Ehen mag der Kirche die Veranlassung geben, das durch Gottes Wort von ihr geforderte Zeugnis abzulegen gegen die Verletzung des 5., 6., 7., 8., 9. und 10. Gebotes und damit endlich das zu tun, was sie längst hätte tun müssen. ... Jeder ‚Nichtarier‘, ob Jude oder Christ, ist heute in Deutschland der ‚unter die Mörder Gefallene‘ und wir sind gefragt, ob wir ihm wie der Priester und Levit, oder wie der Samariter begegnen.“ (LKA Stuttgart)

Die Mitglieder des Kreises Wilhelm Hengstenberg und Emil Höchstädter überbrachten den Brief dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Hans Meiser, und baten ihn, den Brief zur Grundlage eines öffentlichen Protestes der Kirche gegen die Judenvernichtung zu machen. Meiser stimmte dem Brief inhaltlich zwar weitgehend zu, weigerte sich jedoch, ihn zu veröffentlichen, da er befürchtete, damit die Kirche und ihre Bediensteten selbst der Verfolgung auszusetzen. Zudem meinte er, das NS-Regime werde eine Veröffentlichung zum Anlass nehmen, noch rigoroser gegen Jüdinnen*Juden vorzugehen. Als der Münchner Laienbrief im Schweizer Evangelischen Pressedienst erschien und die Gestapo die Verfasser ausfindig machen wollte, gab Meiser deren Namen aber nicht preis. Außerdem übersandte er ein Exemplar des Laienbriefs an seinen württembergischen Kollegen Landesbischof Theophil Wurm, der den Brief zum Anlass für einen schriftlichen Protest bei Hitler nahm. In Deutschland wurde der Münchner Laienbrief nur unter der Hand bekannt. Der Elberfelder Pfarrer Helmut Hesse wagte im Juni 1943 jedoch die Verlesung des Briefs in einem Gottesdienst und bezahlte dafür mit seinem Leben: Er wurde verhaftet und starb im November 1943 im Konzentrationslager Dachau, indem man ihm lebenswichtige Medikamente verweigerte.

Quellen

Landeskirchliches Archiv (LKA) Stuttgart D1 (Nachlass Landesbischof Theophil Wurm), Nr. 108 (Württembergische Evangelische Landeskirche. Januar bis Juni 1943).
Höchstädter, Walter: Der Lemppsche Kreis, in: Evangelische Theologie 48, 1988, S. 468-473.
Röhm, Eberhard / Thierfelder, Jörg: Der Münchner Laienbrief, in: Glaube und Lernen. Theologie interdisziplinär und praktisch, 22, 2007, S. 25-33.
Röhm, Eberhard / Thierfelder, Jörg: Juden – Christen – Deutsche 1933-1945. Bd. 4: 1941-1945. Vernichtet. Teil 2, Stuttgart 2007, S. 283-302.<www.albert-lempp.de> (website der Evangelischen Kreuzkirche München-Schwabing über Albert Lempp und seinen Kreis) (zuletzt aufgerufen am 19.09.2023).
Schulze, Nora Andrea: Hans Meiser. Lutheraner - Untertan - Opponent: eine Biographie, Göttingen 2021.

Empfohlene Zitierweise

Nora Andrea Schulze: Lempp, Albert (publiziert am 27.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/lempp-albert-497