Ausstellung

Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge

30. Mai bis 10. Nov. 2019

Die neue Wechselausstellung des NS-Dokumentationszentrums München Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge zeigt anhand historischer und aktueller Beispiele, wie eine zunehmende politische Polarisierung zur Spaltung und zum endgültigen Ausschluss einzelner Gruppen aus der Gesellschaft führen kann. Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Verfilmung von Hugo Bettauers Roman Die Stadt ohne Juden von 1924. Einzelne Filmszenen verweisen auf die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung während des Aufstiegs und der Etablierung der NS-Bewegung in den 1920er- und 1930er-Jahren. Ergänzt durch den Blick auf aktuelle Entwicklungen werden Geschichte und Gegenwart zueinander in Bezug gesetzt. Die gezeigten Exponate reichen von antisemitischen Klebemarken und Flugblättern der 1920er-Jahre über Namenslisten jüdischer Münchner*innen, die 1942 deportiert wurden, bis hin zu dem menschenverachtenden antisemitischen Brettspiel Pogromly der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) von Ende der 1990er-Jahre und rassistischen Postings der Gegenwart.

Die deutsch/englische Ausstellung ist vom 30. Mai bis zum 10. November 2019 zu sehen und wurde in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben realisiert. Kurator*innen sind Andreas Brunner, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher.

Zur Ausstellung

Der Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer entwarf in seinem 1922 erschienenen Roman Die Stadt ohne Juden das Szenario einer Vertreibung der Jüdinnen*Juden aus Wien. Sein Roman von übermorgen, so der Untertitel, war ein Zeitdokument, eine Satire auf den seinerzeit grassierenden Antisemitismus in Wien. 1924 wurde der Roman von Regisseur Hans Karl Breslauer verfilmt. Die Kinovorstellungen in Österreich und Deutschland begleiteten Störaktionen der extremen Rechten. 1925 wurde Bettauer von einem Rechtsextremen in Wien ermordet. Seine satirische Vision wurde wenige Jahre später mit der Vertreibung und Ermordung der europäischen Jüdinnen*Juden grausame Realität. Bettauers Roman wird daher oft als Prophetie bezeichnet – die sie allerdings nie war. Vielmehr bilden Roman und Film zeitgenössische Mechanismen des Ausschlusses einer Minderheit aus der Mehrheitsgesellschaft ab. Im Film kehren die Jüdinnen*Juden in ihre Heimatstadt zurück – die historische Realität sah anders aus. Von der Fiktion Bettauers und Breslauers wendet sich die Ausstellung den tatsächlichen historischen Folgen des Ausschlusses der Jüdinnen*Juden zu, die in die Schoa führten.

Die Ausstellung Die Stadt ohne wurde erstmals 2018 im Metro Kinokulturhaus im Auftrag des Filmarchivs Austria in Wien präsentiert. Im NS-Dokumentationszentrum München wird sie in stark überarbeiteter Form gezeigt. Neben aktuellen Beispielen wurde ein regionaler Schwerpunkt auf München und Bayern gelegt. Den Einstieg in die Ausstellung bildet ein Prolog, der Bettauers Roman und den Film durch den Filter unserer Gegenwart betrachtet. Das intendierte Lachen Bettauers ist heute eines, das im Halse stecken bleibt, denn mit unserem Wissen um die Historie ist es unmöglich, die Schoah auszublenden. Aufnahmen des Fotografen Robert Haas von verlassenen jüdischen Wohnungen in Wien veranschaulichen dies und zeigen auf bedrückende Weise den Verlust und die Leere, die die Schoah hinterlassen hat.

Der Hauptteil der Ausstellung setzt sich mit den Ausschlussmechanismen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer Minderheit auseinander und führt – jeweils eingeleitet durch eine Filmszene – durch die Stufen der Ausgrenzung: von der Polarisierung der Gesellschaft über Stereotypisierung, Empathieverlust und Brutalisierung bis hin zum Ausschluss der zum Feindbild stilisierten Menschengruppe. Der Prozess der Ausgrenzung wird zum einen an historischen Beispielen visualisiert – hier bilden die 1920er-Jahre den Ausgangspunkt –, zum anderen zeigt die Ausstellung exemplarisch auch die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart hinein. Forderten in den 1920er-Jahren Antisemiten immer lauter den Ausschluss von Jüdinnen*Juden, geht es heute auch gegen Ausländer*innen, Muslima*Muslime, Geflüchtete und wie schon früher gegen Sinti*zze und Rom*nja. Mit dieser Gegenüberstellung greift Die Stadt ohne die zentralen Fragestellungen unserer Zeit auf: Haben wir ‚Weimarer Verhältnisse‘? Ähnelt die heutige Situation derjenigen am Ende der Weimarer Republik und kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten? Ist noch Zeit, ‚Wehret den Anfängen‘ zu mahnen?

Die Ausstellung zeigt die Kontinuität antisemitischer Fremdbilder und Stereotype. Wahlplakate, Publikationen und Klebemarken machten bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten ‚den Juden‘ zum Sündenbock für kleinere und größere Übel. Die ersten antijüdischen Pogrome gab es in Berlin bereits 1923; diese sollten nur der Auftakt für die ‚Juden raus‘-Politik der Nationalsozialisten sein. Für einen zunehmenden Empathieverlust sorgte in den 1920er- und 1930er-Jahren die ‚Eugenik‘, die Lehre von der ‚Erbgesundheit‘, nach der ‚artfremdes Erbgut‘ ‚ausgerottet‘ werden sollte. Auch heute werden ‚einfache Lösungen‘ für komplexe Probleme gesucht und in Parolen wie ‚Ausländer raus‘ vermeintlich gefunden. Ob Kriminalität, sexuelle Gewalt, Krankheiten oder Drogendelikte – an allem scheinen ‚die Anderen‘, Muslima*Muslime, Flüchtlinge, Ausländer*innen oder Jüdinnen*Juden schuld zu sein. Auch die Feindbilder gleichen sich, so dass heute nicht selten die ‚blutsaugende Spinne‘ oder der ‚raffgierige Unternehmer‘ für die Darstellung ‚des Juden‘ bemüht werden. Neben Jüdinnen*Juden werden besonders seit 2015 Geflüchtete sowie Muslima*Muslime diskriminiert; ihr Ausschluss aus der ‚deutschen Gesellschaft‘ wird von rechten Parteien gefordert. Wenn die Alternative für Deutschland (AfD) in ihren Wahlkampagnen offen für ‚islamfreie Schulen‘ wirbt, drängen sich Analogien zum ‚judenfreien Deutschland‘ auf, das die Nationalsozialisten herbeiführen wollten.

Am Ende der Ausstellung schließt sich der Kreis vom Film Die Stadt ohne Juden zur satirischen Überzeichnung, die schon Bettauers Stilmittel war. Christoph Schlingensiefs ‚Containeraktion‘ Bitte liebt Österreich! provozierte im Jahr 2000 Politik und Öffentlichkeit. Sein neben der Wiener Staatsoper arrangiertes Containerdorf, versehen mit dem Schriftzug „Ausländer raus”, in dem für eine Woche, kameraüberwacht, zwölf Asylbewerber*innen lebten, die dann nach dem Vorbild der Show Big Brother herausgewählt wurden, erhitzte die Gemüter und stiftete Verwirrung. Heute gehören Containerdörfer für Geflüchtete und Asylbewerber*innen zum Alltag.