Gewalt in der Weimarer Republik

Thema
Verfasst von Brigitte Zuber

Die gewaltsame Austragung politischer Rivalitäten in der Zeit von 1919 bsi 1933

Die politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik fanden von Anfang an auf zwei Ebenen statt: „Auf der einen Seite wurde der Kampf der Klasseninteressen und -ideale in der Form eines Parteienkampfes auf der Bühne der Parlamente, im Rampenlicht der Öffentlichkeit, und relativ gewaltlos entsprechend den parlamentarischen Regeln ausgetragen. Auf der anderen Seite wurde dieser Kampf von Wehrverbänden und Geheimbünden mit Mitteln der physischen Gewalt im konspirativen Zwielicht ausgefochten“ (Elias, S. 289). Im Zusammenspiel beider Ebenen entwickelten die Nationalsozialisten ihr gewaltiges Zerstörungspotential gegen die erste deutsche Republik, indem sie einerseits als politische Partei (NSDAP und Untergliederungen) und andererseits als paramilitärischer Komplex (SA und SS) agierten, ihre Kräfte auf diese Weise bündelten und dabei eine neuartige Einheit von politischer Propaganda und unverhohlenem (Strassen-)Terror schufen.

Während der gesamten Weimarer Republik herrschte ein hohes Maß an politischer Gewalt, die sich, einer allgemeinen Definition zufolge, „als Ausübung physischen Zwangs […] sowohl auf Sachen wie auch auf einzelne Menschen oder auf Gruppen richten kann und deren Akteure in dem Objekt, auf das sie zielen, zugleich das politische System als ganzes oder ein als gegnerisch verstandenes politisches Konzept zu treffen versuchen“ (Schumann, S.16).

Der Erste Weltkrieg, der knapp neun Millionen Tote und fast drei Millionen Verstümmelte und schwer Traumatisierte kostete, wurde mit der nahezu unblutigen Novemberrevolution 1918 beendet. Sie leitete die Gründungsphase der ersten deutschen, demokratischen Republik ein. Die Mehrheit der alten wirtschaftlichen und politischen Eliten sah darin nur die letzte und einzige Möglichkeit, eine sozialistische Republik zu verhindern und somit ihre gesellschaftlichen Machtpositionen nicht zu verlieren. Teile der sogenannten Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) hofften, die im Staatsapparat und im Militär befindlichen alten Machtinhaber „durch den Parlamentarismus genügend in Schach halten zu können“ (Jasper, S. 24). Politisch links stehende Sozialdemokrat*innen und Sozialist*innen drängten demgegenüber auf eine soziale Fundamentierung der Demokratie und wollten den entsprechenden Rätegedanken umsetzen.

Die Armeeführung jedoch, mit der Friedrich Ebert (MSPD) ein Bündnis „zum Kampf gegen den Bolschewismus“ (Mauch, S. 34) schloss, war nicht „in Schach“ zu halten. Zudem überzogen im Namen von „Ruhe und Ordnung“ die Freikorps, von der Regierung Ebert am 7.1.1919 zur Aufstellung ermächtigt, das Land mit der ersten blutigen Gewaltwelle nach dem Ende des Krieges. In den Monaten nach den sogenannten Januarkämpfen 1919 in Berlin, als Angehörige des „Freikorps Reinhard“ über 100 Mitglieder des „Spartakus-Bundes“ erschossen, schlugen die Freikorps im ganzen Reich zahllose Arbeiter*innenstreiks und lokale Rätebewegungen nieder.

Auf die Bürgerkriegskämpfe folgte die Gewalt der neuen paramilitärischen Wehrverbände, die ihre Mitglieder hauptsächlich aus dem Reservoir der 1920 aufgelösten Einwohnerwehren und der aus dem Militär entlassenen ehemaligen Freikorps-Soldaten rekrutierten. Wie schon den Einwohnerwehren wurden nun den rechten, republikfeindlichen Wehrverbänden einschließlich der 1921 gegründeten SA große Waffenbestände aus der Armee im Geheimen zur Verfügung gestellt. „Verräter“ der Waffenverstecke verfielen dem Fememord.  Nach dem Mordanschlag auf den Politiker der Zentrumspartei Matthias Erzberger im August 1921 und der Ermordung von Walther Rathenau durch Mitglieder der „Organisation Consul“ im Juni 1922 verlagerte sich die politisch motivierte Gewalt schwerpunktmäßig auf den Kampf um „öffentliches Terrain und Symbole“ (Schumann, S.359).

Die Wehrverbände und Organisationen wie der Schutz- und Trutzbund und die NSDAP bzw. die SA griffen die Tradition von „vaterländischen“ Gedenk- und Totenfeiern auf und organisierten z.B. die sogenannten „Deutschen Tage“, oft bewusst provokant in Hochburgen der Arbeiterbewegung. Im Gegensatz zu anderen Wehrverbänden war die SA aber gleichzeitig die „Privatarmee“ der NSDAP und teilte deren politische Strategie. Dazu gehörte es wesentlich, Furcht und Schrecken zu verbreiten, um sich selbst als Ordnungsmacht und als „Retter Deutschlands“ gegen den Marxismus zu empfehlen. In diesem Sinn sind auch schon die frühen gewalttätigen Übergriffe wie z.B. der 800 Mann zählenden SA-Kolonne beim Deutschen Tag in Coburg 1922 auf Arbeiter- und Gewerkschaftsgruppen zu interpretieren.

Mit der „Eroberung der Straße“, bislang Terrain der Arbeiterbewegung, erwarben sich die Wehrverbände den Zuspruch breiterer bürgerlicher Kreise und trugen dazu bei, dem „Bürgertum die Straße als politischen Aktionsraum zu erschließen“ (Schumann S. 363). Nach dem Scheitern des Hitler-Ludendorff-Putsches im November 1923, das gleichzeitig das Ende der ersten Krisenjahre der Weimarer Republik markierte, gewann der Terrainkampf noch größere Bedeutung. So stellte z.B. der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“, der mitgliederstärkste antirepublikanische Wehrverband, in martialischen Aufmärschen und jährlich veranstalteten „Frontsoldatentagen“ sein Gewaltpotential zur Schau und wurde dabei öffentlichkeitswirksam von Industrie und staatlichen Stellen unterstützt. Im Zuge des sogenannten Legalitätskurses der NSDAP setzte die SA ab 1924 als deren „Wahlkämpfer“ ihre organisierten Angriffe und Überfälle auf Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen fort und hielt die Straße auch in den Jahren der „relativen Stabilisierung“ der Republik in „aktionsgeladener Spannung“ (Longerich, S. 51). Neben Friedhofs- und Synagogenschändungen nahm auch die judenfeindliche Straßengewalt durch SA-Mitglieder zu.

Auf der Seite der politischen Linken unterschätzte man offensichtlich das Gewaltpotential der Rechten. Erst 1924, „nachdem der Hitler-Putsch die Gefährlichkeit der sich in Bayern sammelnden Rechtsextremisten gezeigt hatte“ (Schumann, S. 364), wurden das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ und der „Rote Frontkämpferbund“ ins Leben gerufen. Beide Organisationen wurden als unbewaffnete Wehr- und Schutzverbände der Arbeiterbewegung aufgebaut und konnten sich in kurzer Zeit zu Massenorganisationen entwickeln. Das von Sozialdemokraten geführte Reichsbanner formulierte als Ziel den „Schutz der Republik und der Arbeiterschaft gegen den Faschismus“ (Gedenkstätte Deutscher Widerstand, S. 16); der von Kommunisten gebildete Frontkämpferbund verstand sich in seiner Eigenschaft als Arbeiter-Wehrorganisation zugleich als antimilitaristische Propagandaorganisation, um „die Wiederholung imperialistischer Kriege zu verhindern“ (Bundessatzung, §3, zit. nach Schuster, S. 261). Durch antikommunistische Ausgrenzungspolitik der Reichsbanner-Führung einerseits und zeitweilig starke sektiererische Strömungen in der KPD andererseits konnte sich die Linke jedoch nicht auf eine gemeinsame Strategie verständigen. Allerdings, so radikal sich Reichsbanner und Rotfrontkämpferbund in ihrer Rhetorik oft gegeneinander abgrenzten, so gerieten sie doch „kaum miteinander in handgreifliche Konflikte“ (Schumann, S. 367); beide traten sie als Gegner der rechten Verbände in Erscheinung.

Die Frage der Gewalt erhielt in der letzten Phase der Weimarer Republik von 1928/29 bis 1933 ein besonderes Gewicht. Der sogenannte „Blutmai“ 1929 lieferte den Anlass dafür, dass der sozialdemokratische Reichsinnenminister Carl Severing dem jahrelangen Drängen deutschnationaler und nationalsozialistischer Politiker auf ein Verbot des Rotfrontkämpferbunds nachgab. Die KPD hatte trotz des Verbots der 1. Mai-Demonstration Berliner Arbeiter zur Teilnahme daran aufgerufen. Die Polizei schritt mit Gummiknüppeln, Schusswaffen und Spritzkommandos ein, erschoss zwei und verletzte mehrere Personen. Am 2. und 3. Mai, an denen die KPD zum Massenstreik gegen die Polizeigewalt aufgerufen hatte, verursachte die Polizei ein Blutbad. Mehr als 30 Personen wurden getötet. Das „Vorgehen mit Karabinern, Maschinengewehren und Panzerwagen gegen Steinewerfer war mehr als unverhältnismäßig. Im übrigen wurde bei den Todesopfern lediglich Polizeimunition gefunden“ (Kurz, S. 77). Zum Zeitpunkt des Verbots hatte der Rotfrontkämpferbund etwa 150.000 Mitglieder.

In den folgenden Jahren galten die parlamentarischen Regeln immer weniger, während die gewaltsamen und oft blutigen Zusammenstöße zwischen den gegnerischen politischen Lagern zunahmen. Als die Regierung Brüning im April 1932 die SA verbot, erhob sich ein Sturm der Entrüstung im nationalistischen Milieu und Brüning wurde entlassen. Es folgte der Übergang zur Präsidialdiktatur. Die antirepublikanische, neue Regierung Franz von Papen, das sogenannte „Kabinett der Barone“, verfügte nicht einmal mehr über eine Tolerierungsmehrheit im Parlament. Die Regierung hob, gerade zwei Wochen im Amt, Mitte Juni 1932 das SA-Verbot wieder auf und entfesselte damit neue Gewaltwellen.

Als infolge des sogenannten „Altonaer Blutsonntags“ vom 17.7.1932 - 7000 uniformierte SA-Männer waren durch ein überwiegend von Kommunist*innen bewohntes Altonaer Arbeiterviertel marschiert, zwei von ihnen wurden durch Unbekannte, 16 Bewohner durch die Polizei erschossen - mehrere Regierungen deutscher Länder, darunter Preußen, die Wiedereinführung des Uniformverbots forderten, setzte von Papen die verfassungsmäßige preußische Regierung am 20.7.1932 staatsstreichartig ab. So traf die Legalisierung der außerparlamentarischen Gewaltorganisationen SA und Stahlhelm auf die Aushöhlung des parlamentarisch-republikanischen Regimes, bis schließlich die Staatsmacht in die Hände des Mannes gelangte, der „sich im Konkurrenzkampf mit den anderen paramilitärischen Organisationen durch den besonders harten und systematischen Einsatz von nicht-legalen, außerstaatlichen Gewaltmitteln ausgezeichnet hatte“ (Elias, S. 289).

Quellen

Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hg.): Ausstellung „Für eine starke Republik! Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 1924–1933“, Ausstellungskatalog, Berlin 2004.
Elias, Norbert: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Gersthofen 1989. Jasper, Gotthard: Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik 1922-1930, Tübingen 1963.
Jones, Mark: Am Anfang war Gewalt: Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin 2017.
Kurz, Thomas: „Blutmai“. Sozialdemokraten und Kommunisten im Brennpunkt der Berliner Ereignisse von 1929. Mit einem Geleitwort von Heinrich August Winkler, Berlin 1988.
Longerich, Peter: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, Augsburg 1999.
Sabrow, Martin: Gewalt gegen Weimar. Ein Medien und Ausstellungsprojekt, in: Zeitgeschichte-online, August 2021, URL: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/gewalt-gegen-weimar (zuletz abgerufen am 30.1.2024).
Schumann, Dirk: Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001.
Schuster, Kurt G.P.: Der Rote Frontkämpferbund 1924-1929, Düsseldorf 1975.


Empfohlene Zitierweise

Brigitte Zuber: Gewalt in der Weimarer Republik (publiziert am 04.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/gewalt-in-der-weimarer-republik-267