Reichswehr / Wehrmacht

Organisationen
Verfasst von Peter Longerich

Streitkräfte des Deutschen Reiches 1919-1945

An die Stelle der Streitkräfte des Kaiserreichs trat 1919 eine „vorläufige Reichswehr“, die am 1.1.1921 offiziell in die „Reichswehr“ überführt wurde. Es handelte sich um eine Berufsarmee. Personelle Stärke, Bewaffnung und Struktur waren durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages vorgegeben. Sie gliederte sich in das 100.000 Mann starke Reichsheer sowie die Reichsmarine. Der Reichspräsident war Oberbefehlshaber der Reichswehr. In Friedenszeiten wurde er durch den Reichswehrminister als Inhaber der Befehlsgewalt vertreten. Die Soldaten der Reichswehr wurden per Eid auf die Weimarer Verfassung verpflichtet. Jedoch war der Großteil des Offizierskorps einseitig konservativ und demokratiefeindlich eingestellt, die Mannschaften wurden überwiegend unter der Landbevölkerung rekrutiert, um sozialdemokratische Bestrebungen nach Möglichkeit zu verhindern.

Die Reichswehr verstand sich vor allem in ihren Anfangsjahren als „Staat im Staate“, d.h. sie beanspruchte für sich eine innere Autonomie und sperrte sich gegen eine Unterordnung unter die politischen Instanzen der Republik. Die Reichswehr wurde in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verschiedentlich zusammen mit aus Freiwilligen gebildeten Freikorps zur Niederschlagung linker Aufstandsbewegungen im Reich eingesetzt. Während des Kapp-Putsches lehnte der Chef des Truppenamtes – es handelte sich um den getarnten, weil nach dem Versailler Vertrag verbotenen Generalstab –, Hans von Seeckt, den Einsatz der Reichswehr gegen die Putschisten ab. Nach dem Ende des Putsches rückte von Seeckt trotz dieses Verhaltens zum Chef der Heeresleitung auf.

Als während des tiefgreifenden Konflikts zwischen Bayern und dem Reich im Herbst 1923 der Befehlshaber des bayerischen Wehrkreises (VII), General Otto von Lossow, sich weigerte, eine Verbotsverfügung des Reiches gegen den Völkischen Beobachter durchzusetzen, wurde er durch von Seeckt abgesetzt. Im Gegenzug unterstellte sich die bayerische Regierung die im Lande stationierten Reichswehrkräfte. Von Seeckt, der in Pläne für die Errichtung einer Diktatur in Berlin eingeweiht war, konnte sich jedoch weder entschließen, die Reichswehr zur Erreichung dieses Ziels einzusetzen, noch wollte er – anders als bei den Reichsexekutionen gegen die linken Regierungen in Thüringen und Sachsen – Reichswehrtruppen in Bayern einmarschieren lassen.

Nach der Entlassung von Seeckts 1926 gab die Reichswehrführung ihre Politik der Selbstisolation auf und begann, sich gegenüber den politischen Instanzen zu öffnen, um ihr geheimes Aufrüstungsprogramm innenpolitisch abzusichern. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch die dauerhafte Sicherung der Zusammenarbeit mit den rechtsgerichteten Wehrverbänden, auf die die Reichswehr im Falle einer Mobilisierung zurückgreifen wollte und die sie daher in getarnter Form durch Ausbildung und Aushändigung von Waffen unterstützte. Die maßgebliche politische Figur der Reichswehr, der seit 1929 amtierende Chef des Ministeramts, Generalmajor Kurt von Schleicher, spielte eine wesentliche Rolle beim Übergang zu den durch präsidentielle Verordnungen abgestützten Rechts-Kabinetten seit 1930 und trat eindringlich für eine Einbindung der SA in die Aufrüstung der Reichswehr ein. Aus diesem Grunde setzte er sich nachhaltig für die Aufhebung des von Kanzler Brüning im April 1932 erlassenen Verbots von SA und SS ein und trug hierdurch maßgeblich zum Sturz des Kanzlers bei. Unter dessen Nachfolger von Papen wurde von Schleicher Reichswehrminister und im Dezember 1932 schließlich Kanzler.

Hitler stellte gegenüber der Generalität von Anfang an klar, dass er die Reichswehr wieder aus ihrer innenpolitischen Sicherungsrolle, in die sie unter von Schleicher zunehmend geraten war, herausnehmen und sie auf rein militärische Aufgaben konzentrieren wollte. Bereits in einer Ansprache vom 3. Februar 1933 stellte Hitler der Generalität seine weitreichenden Aufrüstungs- und Eroberungspläne vor. Als noch 1933 zwischen Reichswehr und SA ein Konflikt über die künftige Wehrverfassung entbrannte, folgte Hitler nicht dem Miliz-Konzept des SA-Stabschefs Röhm, sondern entschied sich für das Modell einer Wehrpflichtarmee mit einem professionellen Kern. Diese Richtungsentscheidung war einer der maßgebenden Gründe für die Entmachtung der SA-Führung im Juni 1934. Neben zahlreichen SA-Führern wurden im Zuge der sogenannten „Röhm-Affäre“ auch zwei Generäle der Reichswehr, Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow, erschossen, was vom Offizierskorps hingenommen wurde.

Unmittelbar nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2.8.1934 ließ Wehrminister Werner von Blomberg die Angehörigen der Reichswehr einen persönlichen Treueid auf Hitler schwören. Im März 1935 wurde offiziell die Existenz einer deutschen Luftwaffe bekanntgegeben und noch im selben Monat die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Aus diesem Anlass wurden die Streitkräfte in Wehrmacht umbenannt. Sie unterstanden dem Reichskriegsminister, wie die neue Bezeichnung seit Mai 1935 hieß, und gliederten sich in Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine. Im Februar 1938 setzte Hitler sowohl Kriegsminister von Blomberg wie auch den Chef der Heeresleitung, Werner von Fritsch, ab und übernahm selbst die Aufgaben des Ministers. Das bisherige Wehrmachtsamt wurde zum Oberkommando der Wehrmacht (OKW).

Die Wehrmacht vollzog von 1933 bis zum Kriegsbeginn ein beispielloses Aufrüstungsprogramm: Namentlich wurde das Heer von sieben auf 102 Divisionen (im Kriegsfall) vergrößert, die neue Luftwaffe erreichte eine taktische Angriffskapazität, die derjenigen der westlichen Luftstreitkräfte 1939 überlegen war. Die großen militärischen Erfolge der Wehrmacht in den ersten Kriegsjahren erklären sich vor allem aus ihrer Fähigkeit, gestützt auf Panzerverbände und taktische Luftstreitkräfte eine moderne Bewegungskriegsführung mit schneller Schwerpunktbildung zu entwickeln. Eine ausgeprägte Auftragstaktik, sehr hohe Disziplin und unbedingter Gehorsam, der durch eine eigene Wehrmachtsjustiz sichergestellt wurde, waren daneben die soldatischen Grundlagen, auf denen die Wehrmacht aufbaute.

Die Wehrmacht war das wichtigste Machtinstrument des NS-Staats. Der von ihr geführte Angriffskrieg schuf die Voraussetzung für die von der NS-Führung beabsichtigte rassistische „Neuordnung“ Europas. Grundsätzlich verhielten sich die Institution, ihre Führung und die Masse der Soldaten loyal gegenüber dem System. Auch wenn es im überwiegend konservativ geprägten Offizierskorps durchaus Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus gab, so muss man davon ausgehen, dass der Eroberungskrieg und die mit ihm verbundenen politischen Zielsetzungen von der Mehrheit der Offiziere grundsätzlich geteilt wurden.

Die Wehrmacht hat sich aufgrund der Anlage sowie der Praxis ihrer Kriegsführung zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Hierzu gehören die Erschießungen von Zivilist*innen in großem Umfang im Zuge von „Vergeltungsmaßnahmen“, sogenannten Repressalien, oder im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Partisanen die völkerrechtswidrige Behandlung osteuropäischer und vor allem sowjetischer Kriegsgefangener, deren systematische Vernachlässigung eine außerordentlich hohe Sterblichkeit zur Folge hatte, während jüdische oder „nicht tragbare“ Kriegsgefangene an die SS ausgeliefert und ermordet wurden. Zusätzlich wurden sowjetische politische Kommissare auf Grundlage des sogenannten Kommissarbefehls häufig sofort nach der Gefangennahme erschossen. Bei ihrem Rückzug in Osteuropa verfolgte die Wehrmacht eine „Politik der verbrannten Erde“ auf Kosten der einheimischen Bevölkerung. An dem Völkermord des Regimes an Juden, Sinti und Roma und anderen Gruppen war die Wehrmacht durch direkte sowie indirekte Unterstützung von SS und Polizei, aber auch durch die unmittelbare Tatausführung durch Wehrmachtssoldaten beteiligt.

Andererseits regte sich seit 1938 innerhalb des Offizierskorps Widerstand gegen Hitler und sein Regime. Während der Sudetenkrise opponierte Generalstabschef Ludwig Beck gegen die Pläne Hitlers zum Angriff auf die CSR, da er befürchtete, das Reich könne einen sich hieraus ergebenden Krieg mit den Westmächten nicht durchstehen. Sein Nachfolger Franz Halder teilte diese Bedenken und trat in Verbindung mit einer Reihe von Offizieren, die Pläne für einen Politikwechsel sowie die Ausschaltung Hitlers erwogen. Diese Oppositionsgruppe zerfiel jedoch nach dem Münchener Abkommen. Angesichts der Gräuel der SS im Krieg gegen Polen kam es zu scharfen Protesten aus der Generalität, doch angesichts der weiteren Erfolge der Wehrmacht auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz entstand hieraus keine Initiative zum Widerstand gegen das Regime.

Erst als der Krieg gegen die Sowjetunion Ende 1941 ins Stocken geriet, erhielt der militärische Widerstand wieder wesentliche neue Impulse. Es entstand ein Netzwerk von Verschwörern, die mehrere Versuche zu einem Attentat auf Hitler unternahmen und am 20.7.1944 sogar einen umfassenden, aber rasch gescheiterten Staatsstreich wagten. Die Masse der Wehrmachtsangehörigen kämpfte jedoch, trotz aussichtsloser militärischer Lage, bis zum Ende des Krieges. Aufstandsaktionen wie die der Freiheitsaktion Bayern stellen eine Ausnahme dar.

In der Wehrmacht dienten während des Zweiten Weltkrieges insgesamt, aber nicht zur gleichen Zeit, etwa 17,3 Millionen Soldaten. Ihre Verluste betrugen etwa 5,3 Millionen Tote.

Quellen

Bartov, Omer: Hitler’s Army. Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich, Oxford 1992.
Förster, Jürgen: Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse, München 2007.
Geyer, Michael: Aufrüstung oder Sicherheit. Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik, 1924-1936, Wiesbaden 1980.
Müller, Rolf-Dieter/Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999.
Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler, Stuttgart 1969.

Empfohlene Zitierweise

Peter Longerich: Reichswehr / Wehrmacht (publiziert am 29.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/reichswehr-wehrmacht-694