Olaf Nicolai: Oskar. Eine Camouflage am Max-Mannheimer-Platz, 2021 | © Olaf Nicolai / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Courtesy Olaf Nicolai und Galerie Eigen+Art, Leipzig / Berlin, Foto: Edward Beierle/Axel Gundermann

Installation

Olaf Nicolai: Oskar. Eine Camouflage

Im Rahmen von Various Others
10. Sept. bis 10. Okt. 2021

In seiner ortsspezifischen Installation Oskar. Eine Camouflage lässt Olaf Nicolai den heutigen Max-Mannheimer-Platz, wo sich bis Kriegsende das ‚Braune Haus‘ befand, mit einem Tarnmuster vermeintlich verschwinden. Er erschafft damit eine komplexe Inszenierung der bedeutsamen Geschichte dieses Ortes und stellt sie in einen erweiterten, überlokalen Zusammenhang. Unter Bezugnahme auf das Werk von Oskar Schlemmer (1888–1943) wirft die Installation Fragen nach Kunst und Künstlerschaft unter den Bedingungen der Diktatur auf.

Für das Tarnmotiv hat Olaf Nicolai einen Entwurf Schlemmers aus dem Jahr 1941 bearbeitet. Der von den Nationalsozialisten verfemte Künstler, der zwischen 1921 und 1929 als ‚Formmeister‘ am Bauhaus gelehrt hatte, durfte offiziell künstlerisch nicht mehr aktiv sein und musste damals für einen handwerklichen Stuttgarter Malerbetrieb arbeiten. 1933 war er fristlos aus der Lehrtätigkeit entlassen worden. Seine Werke wurden als ‚entartet‘ verhöhnt, übertüncht und aus den Museen entfernt. Der Maler zog mit seiner Familie in die Provinz, wo er − diffamiert und an den Rand gedrängt − seine Existenz mit Landwirtschaft und Auftragsmalerei zu bestreiten versuchte. Die wenigen damals entstandenen Werke belegen, wie er die Ideale der Avantgarde den ideologischen Zwängen des NS-Regimes opfern musste. In dieser Zeit entstand der Tarnanstrich für den Gaskessel von Stuttgart. Um ihn vor Fliegerangriffen zu schützen projizierte Schlemmer eine abstrahierte Form der Schwarzwälder Hügellandschaft auf den Baukörper, um ihn mit der Umgebung zu verschmelzen. In der Abstraktion des Musters klingt noch die radikale Modernität des Bauhauses nach. Doch diese Gestaltung verfolgte keine künstlerische Absicht, sie hatte einen pragmatischen Zweck. Schlemmer gestaltete keine funktionalen und ästhetischen Räume, sondern er entwarf innovative Tarnungen für kriegswichtige Objekte. Die scheinbar ideale Verbindung von Kunstgattungen und progressiver Weltanschauung, wie das Bauhaus sie wenige Jahre zuvor propagiert hatte, war paradox verkehrt − die avancierte künstlerische Gestaltung als militärische Dienstleistung.

Olaf Nicolai versetzt seine Variation des Tarnmotivs an den Ort, an dem sich bis 1945 die Parteizentrale der NSDAP befand. Sie war 1930 nicht zuletzt mithilfe von Spenden des Münchner Bürgertums eingerichtet worden. Das Parteiviertel am Königsplatz mit den ab 1933 errichteten Monumentalbauten diente als repräsentative Machtkulisse für Propagandaaufmärsche und Staatsempfänge des Regimes. Doch nur kurze Zeit später musste das Areal mit Netzen, künstlichem Gebüsch und Dachattrappen vor den Bomben der Alliierten getarnt werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der Ort erneut eine Form der ‚Unsichtbarmachung‘: Das beschädigte ‚Braune Haus‘ wurde abgetragen, die ‚Ehrentempel‘ gesprengt und die verbleibenden Sockel bepflanzt. Über die Jahre verschwanden sie unter dem Bewuchs. 1987 wurde der aus der NS-Zeit stammende Granitplattenbelag des Königsplatzes restlos entfernt. Heute bedarf es daher einer kontinuierlichen Sichtbarmachung der Geschichte dieses Ortes. Das temporäre Kunstprojekt Oskar. Eine Camouflage von Olaf Nicolai bezieht sich auf diese Konstellationen und aktualisiert dabei Fragen nach dem ambivalenten Verhältnis von künstlerischer Formensprache zu Politik und Ideologie.