Im Bewusstsein der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der internationalen politischen und gesellschaftlichen Verschiebungen nach rechts und mit Blick auf die in diesem Jahr anstehenden Wahlen, beschäftigt sich das NS-Dokumentationszentrum München 2024 schwerpunktmäßig mit den Themen rechte Gewalt und politisch motivierter Terror sowie Antisemitismus und Rassismus. Wie reagiert eine Gesellschaft, die terroristischer Gewalt ausgesetzt ist? Was unternimmt der Staat, um die Verbrechen aufzuklären, Täter*innen zu bestrafen und der anhaltenden Gefahr zu begegnen? Wie muss eine Kultur der Erinnerung und Verantwortung aussehen, die dabei helfen kann, individuelle und kollektive Traumata zu überwinden? Welche neuen Strategien für gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Gegenwehr können entwickelt werden
Diese und weitere Fragen werden 2024 im Rahmen verschiedener Projekte intensiv diskutiert und bearbeitet. Dabei soll insbesondere die Perspektive der von terroristischer Gewalt unmittelbar Betroffenen berücksichtigt werden. Auch internationale Ereignisse und Zusammenhänge, wie die globalen Folgen einzelner Terrorakte, werden bei dem Jahresschwerpunkt eine Rolle spielen.
Terror und Gewalt prägen die Ideologie und das Handeln extremistischer Kreise. Die Täter*innen begehen ihre Verbrechen aus Hass gegen bestimmte Gruppen, die nicht in ihr meist rassistisches und antisemitisches Weltbild passen. Sie lehnen zudem die Prinzipien und Werte der Demokratie ab. Die Gewalt richtet sich gegen Jüdinnen*Juden, Muslim*innen, People of Color oder Repräsentant*innen staatlicher Institutionen. Durch den Terror soll in der gesamten Bevölkerung ein Klima der Angst entstehen, besonders aber unter vulnerablen Gruppen. Über 20.000 rechtsextremistische Gewalttaten wurden im Jahr 2022 in Deutschland verübt, wie aus der Statistik des Bundesamts für Verfassungsschutz hervorgeht. Darunter fallen sowohl spontane Gewaltausbrüche, als auch lange im Voraus geplante terroristische Anschläge. Zu den schwerwiegendsten Taten der vergangenen Jahre zählen die zwischen 2000 und 2006 verübten NSU-Morde und die Attentate von München (2016), Halle (2019) und Hanau (2020).
Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildet die Ausstellung Rechtsterrorismus. Verschwörung und Selbstermächtigung – 1945 bis heute, die vom 18. April bis 28. Juli 2024 im NS-Dokumentationszentrum München zu sehen sein wird. Weitere Ausstellungsformate für die zweite Jahreshälfte sind derzeit noch in Planung und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.
Ausstellung: Rechtsterrorismus. Verschwörung und Selbstermächtigung – 1945 bis heute
18. April – 28. Juli 2024
Die Ausstellung setzt sich mit dem dauerhaft aktuellen Thema Rechtsterrorismus in Deutschland und weltweit auseinander. Rechtsterroristische Gewalt richtet sich gegen einzelne Personen und Bevölkerungsgruppen und damit letztlich gegen die gesamte Gesellschaft. Rechtsterrorist*innen planen und begehen Angriffe, Anschläge und Morde. Ihre Absicht ist es, Staat und Gesellschaft zu schwächen und ein Klima der Angst zu erzeugen.
Anhand von lokalen, regionalen, aber auch internationalen Beispielen wird die anhal-tende rechtsterroristische Bedrohung in der Vergangenheit bis in unsere jüngste Gegenwart sichtbar gemacht – darunter das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 und der Anschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum vom 22. Juli 2016. Deutlich wird, dass Rechtsterrorismus keine temporäre und lokale Erscheinung der Gegenwart ist, sondern ein ständiger Begleiter der deutschen und internationalen Geschichte. Deutlich werden auch die Folgen, die rechtsterroristische Gewalt für die Betroffenen haben – Trauer um die Toten und Verletzten, bleibende Traumatisierung und der leidvolle Kampf um Anerkennung des Erlittenen.
Projekt: Open Doors auf dem Max-Mannheimer-Platz
Das NS-Dokumentationszentrum entwickelt zusammen mit dem Gestaltungsbüro Studio Miessen ein Raumprojekt für den Außen- und Innenbereich des Hauses. Unter dem Titel Open Doors entstehen in den nächsten Jahren neue Räume des Zusammenkommens und des Austausches. Neben lebendigen, offen zugänglichen Bereichen werden künftig auch abgeschirmte Zonen ruhige und konzentrierte Gespräche innerhalb der Ausstellungen ermöglichen. In verschiedenen architektonischen Strukturen sollen Gruppen und Besucher*innen willkommen geheißen und zu den Programmen des NS-Dokumentationszentrums eingeladen werden. In einem ersten Schritt wird im kommenden Sommer der Max-Mannheimer-Platz zu einer Plattform umgestaltet, auf der sich Menschen zusammenfinden und austauschen können. Die entstehenden Sitz- und Gestaltungsstrukturen werden unterschiedlichen Vermittlungs- und Veranstaltungsformaten Raum und neue Möglichkeiten geben.
Veranstaltungen
In Zusammenarbeit mit zahlreichen Kooperationspartner*innen plant das NS-Dokumentationszentrum im kommenden Jahr abwechslungsreiche Veranstaltungen im Haus, auf dem Vorplatz sowie an anderen Orten der Stadt. Neben historischen Fragestellungen zählen der bereits im Sommer 2023 und mehr noch seit dem Überfall der Hamas auf Israel massiv gestiegene Antisemitismus und die Reaktionen darauf in der jüdischen Welt, sowie antimuslimischer Rassismus und die wachsende gesellschaftliche Polarisierung zu den zentralen Themen. Der Erinnerung an Rechtsterrorismus und rechte Gewalt widmet sich die Reihe Gegen das Vergessen: 40 Jahre rechtsterroristischer Brandanschlag auf die Diskothek Liverpool, an der neben dem NS-Dokumentationszentrum zahlreiche weitere Münchner Partner*innen mitwirken. Mit der Beteiligung an dem go drag! munich Festival vom 1. bis 5. Mai 2024 werden weibliche, trans* und nicht-binäre Künstler*innen in den Fokus gerückt. Die Open Doors werden 2024 innovative Möglichkeiten schaffen, niederschwellige und offene Veranstaltungsformate zu zeigen.
Vermittlungsangebote
Das Thema rechte Gewalt wird auch im Vermittlungsprogramm des NS-Dokumentationszentrums einen Schwerpunkt bilden. Angebote wie Fortbildungen zu Antisemitismus- und Rassismusprävention sollen eine frühe Sensibilisierung gegenüber rechtem Radikalisierungspotential ermöglichen und Guides, Lehrkräfte und Multiplikator*innen zum konkreten Gegensteuern befähigen. Auch eine aktive Auseinandersetzung mit demokratischen Werten und Rechten ist eine Möglichkeit gegen Antisemitismus und Rassismus vorzugehen. So entwickelt das NS-Dokumentationszentrum zusammen mit der Städtischen Berufsschule für Farbe und Gestaltung ein Projekt anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes. Neben dem bereits etablierten und stets sehr gut besuchten Workshop „Das wird man doch mal sagen dürfen?“ Radikalisierung der Mehrheitsgesellschaft? wird es ein neues Format zum Thema „Desinformation und rechte Rhetorik im Netz“ geben.
Außerdem stehen in diesem Jahr erneut künstlerisch-performative Formate im Mittelpunkt wie zum Beispiel das mehrfach ausgezeichnete Schüler*innen-Tanztheater-Projekt Always Remember. Never Forget. Im ersten Quartal 2024 wird auch ein inklusives Theaterstück – Ohne Worte – entstehen. Weitere inklusive Angebote sind Rundgänge in Deutscher Gebärdensprache und eine Broschüre in Leichter Sprache, die sich speziell an Menschen mit Fluchterfahrung richtet. Angebote der kulturellen Bildung wie Comicworkshops und Schreibwerkstätten sind außerdem fester und erfolgreicher Bestandteil des Vermittlungsprogramms und werden im kommenden Jahr fortgeführt.
2023 wurde das NS-Dokumentationszentrum mit dem Grimme-Online-Award für das digitale Storytelling zu der Ausstellung TO BE SEEN. queer lives 1900-1950 ausgezeichnet. Die nsdokuStories werden 2024 u.a. mit weiteren Storytellings zum Jahresschwerpunkt Rechtsterrorismus unter www.stories.nsdoku.de fortgeführt.
Forschung und Publikationen
Anfang Februar hat das NS-Dokumentationszentrum München unter www.nsdoku.de/lexikon ein umfangreich bebildertes Online-Lexikon gelauncht. Es bietet wissenschaftlich fundierte Informationen in kompakter, allgemein verständlicher Form zu zentralen Themen, Organisationen, Biografien, Orten und Ereignissen aus der NS-Zeit mit einem Schwerpunkt auf München und Umgebung. Das zum Launch rund 900 Artikel umfassende Lexikon wird kontinuierlich erweitert und im Laufe des Jahres ebenso in einer englischen Version erscheinen.
Auch die Herausgabe neuer Publikationen ist für 2024 geplant. Die Illustratorin Hannah Brinkmann hat die Lebensgeschichte des Münchner Zeitzeugen Ernst Grube als Graphic Novel gestaltet. Das bereits als Finalist beim Berthold Leibinger Preis ausgezeichnete Buch Zeit heilt keine Wunden. Eine Graphic Novel von Hannah Brinkmann über das Leben des Shoah-Überlebenden Ernst Grube erscheint im Herbst 2024 im Avant Verlag. Aus der internationalen Tagung Fragile Demokratien – Fragile Democracies: 1923/1933/2023, die 2023 im NS-Dokumentationszentrum stattfand, ist der Tagungsband Fragile Demokratien. Was freie Gesellschaften bedroht – und was sie zusammenhält entstanden, der voraussichtlich im Mai 2024 erscheinen wird. Der Band ist Teil der Publikationsreihe Public Memory (Wallstein Verlag), die sich mit der Theorie und Praxis einer inklusiven, demokratischen Erinnerungskultur befasst. Gemeinsam mit MÜNCHEN ERINNERN! – der Initiative von Angehörigen, Überlebenden und Unterstützenden, die sich für die Erinnerung an den rechtsterroristischen Anschlag am 22.07.2016 am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München einsetzt – plant das NS-Dokumentationszentrum München außerdem eine Publikation mit dem Titel #TellTheirStories.
Eine kürzlich geschlossene, zweijährige Forschungskooperation mit der Stadtsparkasse München hat zum Ziel, die Vorgänge in der damals „Städtische Sparkasse München“ in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 historisch auszuwerten. Dazu zählen das Verhalten der Mitarbeiter*innen, nicht zuletzt gegenüber jüdischen Kund*innen, sowie die regionale Rolle und Bedeutung des Finanzinstituts. Die Beurteilung der Unterlagen wird unabhängig und nach aktuellen wissenschaftlichen Standards durch eine neu geschaffene Projektstelle am NS-Dokumentationszentrum erfolgen. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2025 in einem Forschungsbericht veröffentlicht.
Erinnerungsort Neuaubing
Am Erinnerungsort Neuaubing wird voraussichtlich bis Ende 2025 eine Dependance des NS-Dokumentationszentrums errichtet. Durch das Neben- und Miteinander von Geschichtsvermittlung, Kunst, Sozialem und Handwerk wird das ehemalige NS-Zwangsarbeiter*innenlager zu einem Ort der lebendigen Erinnerung, der Menschen dazu einlädt, sich mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit und deren Bezügen bis in die Gegenwart auseinanderzusetzen. Im Rahmen der Baumaßnahmen wird die Sanierung und Ertüchtigung der Baracken 2 und 5 für den Ausstellungs- sowie Vermittlungs- und Veranstaltungsbetrieb realisiert. Darüber hinaus werden die Konzepte für die analogen und digitalen Ausstellungsformate in der Baracke 5 und im Außenraum weiter konkretisiert. Neben der Weiterentwicklung des bereits laufenden Vermittlungsprogramms wird die Veranstaltungsreihe Arbeit und initiiert, welche vorbereitend zur Eröffnung inhaltliche Schwerpunkte der geplanten Hauptausstellung adressiert.