Relief zum NSU-Prozess von Sebastian Jung an der Fassade des Strafjustizzentrums München | Foto: Connolly Wber Photography

Intervention

Kunstintervention zum NSU-Prozess von Sebastian Jung

Zeichnungen aus dem NSU-Prozess von Sebastian Jung waren als Teil der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow bis 18. Oktober 2020 im Strafjustizzentrum zu sehen. Sein Relief zum NSU-Prozess ist auch weiterhin an der Außenfassade des Gebäudes angebracht.

Von 2013 bis 2017 hat vor dem Oberlandesgericht München das Hauptverfahren gegen die fünf Angeklagten im Zusammenhang mit den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) stattgefunden. Die rechtsextremistische Terrorgruppe hatte über Jahre hinweg in Deutschland gemordet, Attentate und Überfälle verübt. Vor einigen Wochen wurde das mehr als 3.000 Seiten umfassende Urteil in dem nun in erster Instanz abgeschlossenen Strafprozess vorgelegt. Trotzdem sind viele Fragen zum NSU-Komplex nach wie vor unbeantwortet.

Der Künstler Sebastian Jung begleitete das Verfahren gegen den NSU vor dem Oberlandesgericht München mit Bleistift und Zeichenblock, seine Skizzen spiegeln den Blick des Beobachters. Das anfänglich große Medieninteresse flaute über die vielen, zähen Verhandlungstage hinweg deutlich ab. Zeitweise erschienen Fragen nach Kleidung und Frisur der Hauptangeklagten präsenter als die Verbrechen selbst oder die Verstrickungen von Polizei und Verfassungsschutz in deren mühsamer Aufklärung.

Aus den im Gerichtssaal des Strafjustizzentrums München angefertigten Zeichnungen zum Prozessgeschehen hat Sebastian Jung ein 2 mal 4 Meter großes Relief für die Fassade des Gebäudes geschaffen. Das Kunstwerk thematisiert die unbeantworteten Fragen, die der Prozess hinterlassen hat und den grundsätzlichen Umgang mit den Taten des NSU. In der Mitte des Reliefs befindet sich eine große Leerstelle – sie markiert den Ort, an dem üblicherweise die Zeug*innen befragt werden. Jung verweist dabei auf die Undarstellbarkeit der Verbrechen. Indem er die Perspektive des Prozessbeobachters von der Empore des Sitzungssaals einnimmt, befragt er auch den Blick der Öffentlichkeit auf das Verfahren, in dem manche Beteiligte wie die Nebenkläger* innen zu wenig sichtbar waren.

Das Kunstwerk macht den Außenraum zum neuen Austragungsort und fordert damit zu einer dringend notwendigen öffentlichen Weiterbeschäftigung auf. Darüber hinaus regt die künstlerische Arbeit ein Nachdenken über die noch nicht absehbaren, langfristigen politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des NSU-Komplexes an. Während den Künstler besonders die strukturellen Fragen hinter dem Komplex beschäftigen, will das NS-Dokumentationszentrum München mit der Intervention auch auf das Fehlen eines zentralen öffentlichen Orts, an dem an diese größte rechtsextremistische Mordserie der bundesdeutschen Geschichte erinnert wird, hinweisen.

Sebastian Jung interessiert sich für die emotionale Mobilisierung von Massen, getragen von einer politischen Rhetorik, die allzu simple Feindbilder schürt. Er porträtiert weniger die individuellen Personen, die er in verzerrter oder überzogener Weise darstellt, sondern möchte deren Emotionen vermitteln, die ihm in der jeweiligen Situation begegnen.

Zeichnungen aus dem NSU-Prozess von Sebastian Jung im im Strafjustizzentrum München, 2020 | Courtesy the artist, Foto: Connolly Weber Photography

Sebastian Jung, NSU-Prozess an einem Tag im September 2017 | Courtesy the artist

Sebastian Jung, NSU-Prozess an einem Tag im September 2017 | Courtesy the artist

Sebastian Jung, NSU-Prozess an einem Tag im September 2017 | Courtesy the artist

Sebastian Jung bei der Eröffnung der Intervention im Strafjustizzentrum München, 2020 | Foto: Connolly Weber Photography

Relief zum NSU-Prozess von Sebastian Jung an der Fassade des Strafjustizzentrums München | Foto: Connolly Wber Photography