Emmy Rowohlt (4.3.1883 Hamburg – 28.9.1944 Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar)

Biografien
Verfasst von Sibylle von Tiedemann

Schauspielerin, Opfer der NS-“Euthanasie“

Emmy Rowohlt (1883-1944) | aus: Meyer, Ernst Rowohlt, 1968

Emmy Rowohlt war das zweitjüngste Kind einer alteingesessenen Hamburger Familie. Nach der höheren Töchterschule ging sie nach England und legte das Sprachexamen in Englisch und Französisch ab. Ihre Theaterleidenschaft weckte die Aufführung „Die rote Robe“ von Eugène Brieux. In Berlin besuchte sie neben dem Lehrerinnenseminar auch die Schauspielschule des Deutschen Theaters. Engagements folgten. Nach kurzer kinderloser Ehe heiratete sie nicht mehr. Die Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 und die nachfolgende Revolutionszeit erlebte Rowohlt in München. 1922 ging sie nach Italien und Frankreich, 1935 kehrte sie zurück. In München hatte sie Engagements am Nationaltheater und an den Kammerspielen und arbeitete als Dolmetscherin.

Im September 1939 wurde sie denunziert und wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz angeklagt, weil sie laut Polizeiakte öffentlich „äußerst gehässige, ketzerische und von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über den Führer und andere führende Persönlichkeiten des Staates und der Regierung gemacht“ hatte. Sie wurde im Gefängnis Stadelheim inhaftiert. Wohl um sie zu schützen, erklärte der Gefängnisarzt sie für unzurechnungsfähig. Am 5.2.1940 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar eingewiesen. Eine lange Leidenszeit mit vielen Konflikten begann. Emmy Rowohlt bemühte sich vergeblich um Entlassung oder wenigstens Urlaub.

Im April 1941 überwältigte sie mit drei anderen Insass*innen die Nachtschwester, floh, aber kam aber freiwillig zurück. Sie wurde isoliert, zeitweise wurden ihr Fußfesseln angelegt. Am 1.9.1943 wurde sie in ein „Hungerhaus“ verlegt. Der Nahrungsentzug setzte ihr rasch zu. Ihrer Schwester schrieb sie: „Ahntest Du meinen großen Brothunger, Du hättest sicher noch 2 dicke Scheiben Schwarzbrot dazu gelegt. […] Ich habe nur noch 47 kg. Wieviel wiegst du?“ (BAObb, Patientenakten-Nr. 10454). Am 28.9.1944 starb Emmy Rowohlt. Die 1,68 m große Schauspielerin wog nur noch 38 kg.

Seit Juni 2020 wird Emmy Rowohlt in München mit einem Erinnerungszeichen an der Maximlianstraße 26 gedacht.

Gewichtsliste von Emmy Rowohlt 1940-1944 | Archiv des Bezirks Oberbayern, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakten Nr. 10454

Quellen

Archiv des Bezirk Oberbayern, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakten-Nr. 10454.
Tiedemann, Sibylle von: Emmy R. – Opfer der Hungerkost, in: Hohendorf, Gerrit/Raueiser, Stefan/von Cranach, Michael/von Tiedemann, Sibylle (Hg.): Die "Euthanasie"-Opfer zwischen Stigmatisierung und Anerkennung. Forschungs- und Ausstellungsprojekte zu den Verbrechen an psychisch Kranken und die Frage der Namensnennung der Münchner "Euthanasie"-Opfer, Münster 2014, S. 194-196.

Empfohlene Zitierweise

Sibylle von Tiedemann: Rowohlt, Emmy (publiziert am 18.12.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/rowohlt-emmy-721