Quellen
Archiv des Bezirks Oberbayern, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakten.
Eintritt frei
Als „Asoziale“ verfolgt, Opfer der Zwangsfürsorge
Julie U. (Pseudonym) kam aus sehr armen Verhältnissen. Alle ihre sieben Geschwister starben schon als Kleinkinder. Der Mangel an Essen, Versorgung und medizinischer Hilfe war allgegenwärtig. Sie selbst war auch längere Zeit an Masern und Kehlkopfschwindsucht erkrankt. Nach der Schule arbeitete sie als Weberin und als Dienstmagd. Zu dieser Zeit litt sie bereits an Gelenkrheumatismus.
Mit 20 Jahren heiratete sie ihren ersten Mann und bekam zwei Kinder. Dann lernte sie ihren zweiten Mann kennen, ließ sich scheiden. Im Jahr 1933 ging sie mit ihm eine Ehe ein und bekam nochmals zwei Kinder. Während beider Ehen arbeitete sie als Putzfrau oder Küchenhilfe. Dann, in den 1940er-Jahren, ließ sich ihr Mann scheiden. Sie sei ihm untreu geworden, um Geld zu verdienen. Anlass war, dass man bei ihr eine Geschlechtskrankheit festgestellt hatte. Daraufhin wurde sie vom Gesundheitsamt München vorgeladen. Julie U. gab auf Befragen der Ärzte durchaus zu, Geschlechtsverkehr mit anderen Männern gehabt zu haben. Dies sei aber aufgrund einer Notsituation geschehen. Als Spülerin in dem Restaurant „Seehaus“ am Kleinhesseloher See hatte ihr eine andere Aushilfe eine bessere Arbeit in Aussicht gestellt. Sie kündigte, doch die Kollegin verschwand. Nun hatte sie keine Arbeit mehr und dies zudem auch ihrem Mann verschwiegen. So kam es, dass sie sich tagsüber von Männern einladen ließ. Dabei gab sie an, nur mit einem Soldaten „Verkehr gehabt zu haben“. Dieser hätte sie wegen eines Trippers angezeigt. Als es aus diesem Grund zum Zerwürfnis mit ihrem Mann kam, ging sie öfters ins Lokal „Greif“. Weitere Geschlechtserkrankungen folgten.
Die beiden Ärzte des Gesundheitsamtes, Dr. Wallner und Dr. Demmler, bescheinigten ihr daraufhin, sie sei „schwachsinnig“. Es läge auf der Hand, dass Julie U. verbotenerweise der „geheimen Gewerbsunzucht“ nachgehe und somit eine nichtgemeldete Prostituierte sei. Aufgrund der „Uneinsichtigkeit“ von Julie U. sei auch bewiesen, dass sie erbkrank sei und „zum Schutz“ der Kriegsgesellschaft in eine geschlossene Anstalt eingewiesen gehöre: „Es handelt sich um eine vollkommen haltlose Schwachsinnige, die sofort wieder […] der heimlichen Gewerbsunzucht nachgehen würde. Unter den Kriegsverhältnissen ist die schwachsinnige [..] als selbst- und gemeingefährlich zu erachten. Ihre Verwahrung in geschlossener Anstalt ist notwendig.“
Die Diagnose wurde am 28.3.1942 in der Psychiatrischen Nervenklinik durch den Eintrag „erbkrank verdächtig“ im erbbiologischen Meldebogen bestätigt. Dort stellten Oberarzt Dr. Ziehe und Dr. Abeltshauser Anzeige auf Sterilisation im Rahmen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Ihre Diagnose lautete „Psychopathie“. Sie wiesen die Überweisung der Frau in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar an. Dies war allerdings keine Diagnose, die eine Zwangssterilisation hätte begründen können. Auch in Eglfing-Haar wurde sie nochmals einem Intelligenztest unterzogen. Zwar bewies Julie U. im Rechnen „recht gute“ Ergebnisse, doch die Diagnose wich vom bisherigen Urteil nicht ab: „Intelligenzprüfung ergibt eine wohl noch im psychopathischen Range liegende Dummheit.“
Einträge in ihrer Krankenakte belegen ihre Selbständigkeit: „Ruhig, keine Schwierigkeiten […] arbeitet in der Gärtnerei […] sehr fleissig und selbstständig, auch schwierige Arbeiten.“ Auch hätte man die Besuche ihres geschiedenen Mannes durchaus als positive Entwicklung werten können. Es sollte ihr nicht helfen. Der letzte Eintrag lautete dann: „8.6.42 Wird ins Frauenkonzentrationslager von Haarer Schutzmann verbracht“ (BAObb, EH, Patientenakten). Julie U. war ins KZ Auschwitz überführt worden. Die Entscheidung dafür war bereits im Gesundheitsamt München gefallen. Am 11.10.1942 ging die junge Frau an den Haftbedingungen im KZ zugrunde.
In der Entschädigungsakte aus dem Jahr 1955 wurde die Überstellung von der Psychiatrie in KZ-Haft mit angeblicher „Arbeitsverweigerung“ begründet.
Archiv des Bezirks Oberbayern, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakten.