Adolf Wagner (1.10.1890 Algringen/Lothringen – 12.4.1944 Bad Reichenhall)

Biografien
Verfasst von Brigitte Zuber

Nationalsozialistischer Gauleiter, Innen- und Kultusminister in Bayern

Adolf Wagner (sitzend, 2. v. r.) im Kreis der Mitglieder der ersten kommissarischen NS-Regierung in Bayern, März 1933 | Stadtarchiv München, NS-00003, Foto: Wilhelm Weiler

Wagners Eltern stammten aus der Moselregion und waren 1886 mit der ersten großen Einwanderungswelle in den vom Deutschen Reich 1870/71 annektierten Teil Lothringens gezogen. Hier fand der Vater Arbeit als Lorenführer im Bergbau. Trotz der ärmlichen Verhältnisse ermöglichte die Familie ihren drei Söhnen eine höhere Schulausbildung. Adolf war der Jüngste – und der Ehrgeizigste. Schon als Kind habe er sich „gewünscht, so reich zu werden, dass ich mir jeden Tag ein weißes Hemd kaufen kann“ (Zuber, Interview 2010). Nach der Oberrealschule in Pforzheim folgte ein Einjährig-Freiwilligendienst im Infanterieregiment 143, danach ein Semester an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg, und im Mai 1911 zog Wagner nach Aachen zum Bergbau-Studium an die dortige Technische Hochschule. Er wurde Mitglied der schlagenden Verbindung Teutonia, die in Aachen besonders nationalistisch und völkisch war.

Im Ersten Weltkrieg kam Wagner als Bergbau-Student und Leutnant der Reserve zur „Argonnen-Division“ des 16. Armeekorps. Entgegen der in der Literatur kolportierten mehrfachen Kriegsverwundungen und Gasvergiftungen sprechen die Militär-Krankenbuchakten nur von „Tripper“ (LGA Berlin). An den jeweils 30 Tagen, in denen Wagner die Gonorrhoe ausheilte, entging er im September 1915 dem blutigen und gescheiterten Angriff seines Regiments auf die „Fille Morte“ (Dopheide, S. 196) und im Januar 1916 den „schwierigsten, gefährlichsten und aufreibendsten Kampfstunden“ an der Ancre (Ebd., S. 278). Doch am 30.5.1918 traf ein Artilleriegeschoss seinen rechten Unterschenkel; am 28.6.1918 wurde er in einem Lazarettzug nach Bayern verbracht.

Wagner schrieb sich im Februar 1919 an der Würzburger Universität ein, einem Zentrum militant-antidemokratischer und antisozialistischer Professoren und Korporierter. Einer seiner Kommilitonen war Hans Dietrich, ein früher Organisator im völkischen, aggressiv-antisemitischen Lager. Mit ihm besuchte Wagner wenige Jahre später Hitler in der Landsberger Festungshaft. Ende 1919 ernannte der Sprengstofffabrikant Louis Cahuc Wagner zum Direktor einer Reihe kleiner Bergbaubetriebe im oberpfälzischen Erbendorf. Ab 1922 – parallel zum wirtschaftlichen Niedergang dieser Bergwerke – intensivierten sich die politischen Aktivitäten Wagners, bis er im September 1923 die Erbendorfer NSDAP-Ortsgruppe gründete. Am Hitler-Ludendorff-Putsch nahm er aus nicht bekannten Gründen nicht teil. Seine Absenz wurde später kaschiert, indem er den jährlichen Gedenkinszenierungen als „Sprecher der Partei“ beiwohnte.
1924 wurde er für den „Völkischen Block“ Abgeordneter des Bayerischen Landtags, wo er als „Wirtschaftsfachmann“ seine rhetorisch-demagogischen Fähigkeiten ausformte. Eine seiner Redensarten war: „Es werden immer Namen [...] genannt, wie Stinnes, Röchling, Stumm! Nennen Sie uns doch auch die Namen Mendelssohn, Fürstenberg, Michael, Barmat [...]“ (Landtagsprotokoll 13.2.1925).

Im Oktober 1928 wurde Wagner Gauleiter der NSDAP in der Oberpfalz. Ein Jahr später erhielt er, unterstützt durch Gregor Straßer, den neu gegründeten Groß-Gau München, den er machtbewusst auf München-Oberbayern ausdehnte. Er „erklärte die bisherige ‚Vereinsmeierei’ für beendet“ (Rösch, S. 232), unterstellte sich die Ortsgruppen direkt, rationalisierte und erweiterte den Gauapparat durch Fachabteilungen, wie z.B. „Rassen- und Volksgesundheitspflege“ (ebd., S. 238). Von Bayern aus nutzte Wagner seine nie abgerissenen Offizierskontakte zu rheinischen Industriellen. So hatte er 1930, wie er selbst schrieb, „in Danzig und Remscheid bereits vor geladenen Industriellen mit Erfolg gesprochen“ und für eine Rede Hitlers „in einer gross angelegten Industriellenversammlung des ganzen Wuppertales“ geworben (Wagner, 25.12.1930).

Im Herbst 1932 gründete Wagner die „Sonntags-Morgen-Post“, die er mit der Nummer 45 erscheinen ließ und 1933 gewinnbringend an die NSDAP verkaufte. Seinen Machtantritt als kommissarischer bayerischer Innenminister am 9.3.1933 feierte Wagner mit einer Triumphfahrt durch das Land. Innerhalb weniger Wochen ernannten ihn 76 bayerische Kommunen zum Ehrenbürger. Als Innenminister herrschte er über den Polizeiapparat, den er im Bündnis mit Ernst Röhm und Heinrich Himmler durch SA- und SS-Hilfspolizisten erweiterte. Bereits am 10.3.1933 ordnete er zusammen mit Himmler die „Inschutzhaftnahme“ sämtlicher KPD- und Reichsbanner-Funktionäre an. Am 1.4. ernannte Wagner Himmler zum „Politischen Polizeikommandeur“ und unterstellte ihm die Politische Polizei Bayerns, die Politische Hilfspolizei und das Konzentrationslager Dachau. Seine Stellung als Innenminister nutzte Wagner auch gegenüber den vier anderen bayerischen, nicht an der Regierung beteiligten Gauleitern der NSDAP, um sie seiner Disziplinargewalt unterzuordnen.

Obwohl Wagner noch im März 1934 Ernst Röhm als die „eiserne Faust der Revolution“ gelobt hatte (Völkischer Beobachter, 19.3.1934), half er drei Monate später bei der gewaltsamen Ausschaltung der SA-Spitze um Röhm  mit. Er autorisierte die Auslieferung der im Gefängnis Stadelheim festgesetzten SA-Männer an den Anführer der SS-Leibstandarte, seinen Duzfreund Sepp Dietrich, der sie kurz darauf auf Befehl Hitlers erschießen ließ.
Die gegenseitigen Besuche 1933/34 zwischen Wagner, der als Kind katholischer Messdiener war, und Kardinal Faulhaber offenbarten die Gerissenheit Wagners. Faulhaber wiederum, der im Februar 1934 mit zum Hitlergruß ausgestrecktem Arm (Volk, S. 172) Wagner aufwartete und gerne sein „Vertrauen auf den Gerechtigkeitssinn des Herrn Staatsministers“ betonte (Akten I), machte es Wagner weniger schwer, gegen katholische Vereine vorzugehen.

Im August 1935 preschte Wagner in der Chefbesprechung des Reichswirtschaftsministeriums mit der Forderung vor, „schrittweise die legale Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft vorzubereiten“ (Regest 21251). Nachdem Wagner 1936 endlich sein Ziel, auch bayerischer Kultusminister zu werden, erreicht hatte, ließ er den Raub von Kunstwerken in jüdischem Besitz vorbereiten. So fuhren im Anschluss an die Pogromnacht im November 1938 Lastwagen an den Monate zuvor ausgewählten Adressen vor, um die den Juden gehörenden Kunstgegenstände abzutransportieren (MstMus). Zum Auftakt der Aktion hatte Wagner propagiert, dass „wir aus eigenstem Interesse dafür sorgen müssen, dass der Jude möglichst rasch und möglichst schnell ausgerottet wird“ (BayHStA, NL Wagner, 9.11.1938).
Mit seinem Amt als Kultusminister veränderte sich der persönliche Lebensstil Wagners. Hatte er 1933 noch die populistische Forderung einer Herabsetzung aller Ministergehälter im Reich propagiert, forderte er 1937 für sich das Gehalt eines Reichsministers. Tägliche Besuche im Künstlerhaus, Scheidungsgeld an seine Frau, Kindergeld an seine Sekretärin und neue Lebensgefährtin, Geschenke an kurzzeitige Geliebte, repräsentative Künstlergelage in seiner Dienstwohnung, der Kaulbachvilla, Unterhalt seines Ferienhauses in Unterammergau etc. hatten seinen Geldbedarf enorm erhöht.

Als Wagner mit Kriegsanfang 1939 Reichsverteidigungskommissar für die Wehrbezirke München und Nürnberg wurde, wurden die Künstlergelage weniger, doch es brachen bei ihm letzte moralische und zivilisatorische Dämme. Das Depot bei der Bayerischen Staatsbank, das er am 24.10.1940 mit 227.000 RM „i. Sa. Eigenheime für Schwerkriegsbeschädigte“ eröffnete, schrieb er eine Woche darauf auf seinen Namen um (Spruchkammerakte Wagner). Die Belegung der Klöster mit Soldaten und Verletzten offenbarte seinen Zynismus: „Wenn ich etwas hinein tue in die Klöster, dann höchstens Blöde“ (Wagner, 30.9.1939). Einen Rückschlag erhielt Wagner 1941, als er seinen Erlass, die Kreuze aus den Schulen zu entfernen, aufgrund massiver Proteste der kirchlich gebundenen Bevölkerung wieder zurücknehmen musste.

In Traunstein, mitten in der sogenannten Kreistagsfeier, deren Modell Wagner mit martialischen Massenaufmärschen als jährliche „Bekenntnistage“ für die NSDAP 1936 eingeführt hatte, traf ihn am 14.6.1942 ein Schlaganfall. Adolf Hitler stellte Wagner seine Leibärzte zur Verfügung, erfuhr aber bald, dass sich Wagner nicht mehr erholen würde. Während Hitler früher privat bei Wagner ein- und ausging, mit ihm Operetten besuchte, Stadtbaumodelle besichtigte etc. und ihn seinen „Liebling“ nannte, besuchte er den Todkranken nicht.

Beim Staatsbegräbnis Wagners im April 1944 – er wurde neben dem nördlichen Ehrentempel beigesetzt – saß nur die Schwester Wagners neben Hitler, seine beiden Brüder fehlten. Der ältere Bruder, Karl Wagner, war aktiver Sozialdemokrat in Frankfurt am Main und verheiratet mit einer jüdischen Frau, die 1945 nach Theresienstadt deportiert wurde.

Quellen

Bayerisches Hauptstaatsarchiv V, NL Adolf Wagner.
Bayerisches Staatsarchiv, Spruchkammerakte Adolf Wagner und Staatsanwaltschaft 28791/1.
Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945 – Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Band 1, Faulhaber an Wagner, 4.9.1933.
Landesgesundheitsamt Berlin, Krankenbuchakten.
Stadtarchiv München, StMus 104 (früher 189).
Siehe auch: Voigt, Vanessa M./Kessler, Horst: Protokoll eines Kunstraubs: Handbuch der 1938/39 beschlagnahmten jüdischen Sammlungen in München, Berlin-München 2014 (noch nicht erschienen).Regest: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes.
Wagner, Adolf: An die Reichsleitung, 25.12.1930, in: De Gruyter online, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert Online. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945.
Zuber, Brigitte: Gesprächsnotizen am 9.4.2010 mit Annemarie N. (Tochter Adolf Wagners), bisher unveröffentlicht.
Nachträgliche Einfügung (21.7.14): *Stadtmuseum 104 (früher 189), Kopie im Stadtarchiv München. Siehe auch: Voigt, Vanessa M./ Keßler, Horst: Protokoll eines Kunstraubs: Handbuch der 1938/39 beschlagnahmten jüdischen Sammlungen in München, Berlin-München 2014 (noch nicht erschienen).*
Broszat, Martin: Der Despot von München. Gauleiter Adolf Wagner – eine Zentralfigur der bayerischen NS-Geschichte, in: Süddeutsche Zeitung, Feuilleton-Beilage, 30./31.3.1985.
Dopheide, Wilhelm: Geschichte des 3. Lothr. Infanterie-Regiments Nr. 135. Im Auftrage der Offizierkameradschaft des Regimentes (mit Skizzen und Zeichnungen von Hans Wißmann), Berlin 1940.
Pöllath, Christian: Nationalsozialismus in Erbendorf. Die politischen Anfänge des Gauleiters Adolf Wagner, Regensburg 2006.
Rösch, Matthias: Die Münchner NSDAP 1925-1933. Eine Untersuchung zur inneren Struktur der NSDAP in der Weimarer Republik, München 1998.
Volk, Ludwig: Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus 1930–1934, Mainz 1997.
Zuber, Brigitte: Der Gauleiter. Das Amt "Willkür". Adolf Wagner (1890-1944) - eine Biografie, Bielefeld 2023.

Empfohlene Zitierweise

Brigitte Zuber: Wagner, Adolf (publiziert am 27.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/wagner-adolf-865