Im Gegensatz zu dem Internationalen Militärtribunal, das in Nürnberg stattfand und an dem die vier Siegermächte Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika beteiligt waren, lagen die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse allein in der Hand der amerikanischen Besatzungsmacht. Die zwölf Verfahren fanden vor amerikanischen Militärgerichten in den Jahren von 1946 bis 1949 im Justizpalast in Nürnberg statt. Es galt, führende Täter*innen, die nicht vor dem Internationalen Militärtribunal angeklagt worden waren, zur Rechenschaft zu ziehen.
Grundlage der Anklage, die der Hauptankläger, Brigadegeneral Telford Taylor für die Vereinigten Staaten vorbrachte, war das Kontrollratsgesetz Nr. 10, das Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen definierte und am 20.12.1945 vom Alliierten Kontrollrat beschlossen worden war und auf das Londoner Statut vom 8.8.1945 zurückging. Die im Kontrollratsgesetz Nr. 10 definierten Straftatbestände waren sowohl nach internationaler als auch nationaler gültiger Rechtsordnung Delikte, die mit Strafen bedroht waren.
Die amerikanische Prozessführung ging äußerst strukturiert vor, um sämtliche straffällig gewordenen Täter*innen aus Staat und Gesellschaft, derer sie habhaft werden konnte, abzuurteilen. Angeklagt wurden 185 Personen, die als führende Ärzt*innen und Juristen, als SS- und Polizeiangehörige, als Industrielle, Konzernmanager oder Militärs oder aber als Angehörige der Ministerialbürokratie und der Regierung Verbrechen begangen hatten.
Für die individuelle und differenzierte Schuldabwägung spricht, dass 35 Angeklagte freigesprochen wurden, während 24 zum Tod verurteilt wurden. 20 Angeklagte sollten eine lebenslange Haft verbüßen, 98 wurden mit zeitigen Freiheitsstrafen belegt. Viele der zu lebenslanger oder mehrjähriger Haft Verurteilten kamen nachfolgend in den Genuss von Gnadenerweisen. Von den 24 Todesurteilen wurden zwölf vollstreckt, elf davon in Haftstrafen umgewandelt und ein Verurteilter an Belgien ausgeliefert, wo er in Haft starb. Trotz mancher finanzieller und personeller Schwierigkeiten wurden die Prozesse von amerikanischer Seite mit großer Akribie geführt. Das damals zusammengestellte Beweismaterial hat Generationen von Historiker*innen auf der ganzen Welt als Fundgrube für Forschungen zur NS-Diktatur gedient. Wie bei anderen Prozessen galt: Je früher die Urteile gefällt wurden und je tatnäher die Angeklagten waren, umso härter waren im Regelfall die Strafen. So wurden im Ärzteprozess, der 1946 begann, von 23 Angeklagten 7 zum Tod verurteilt. Der Prozess gegen das Auswärtige Amt, in dem 21 Angeklagte vor Gericht standen, endete 1949 mit 19 Freiheitsstrafen und zwei Freisprüchen. Während in der frühen Nachkriegszeit die Prozesse von deutscher Seite überwiegend kritisch begleitet und oft pauschal als „Siegerjustiz“ geschmäht wurden, stehen mittlerweile die bleibenden Verdienste der Verfahren im Vordergrund: die vorbildliche Dokumentation und die faire Prozessführung nach anglo-amerikanischem Recht. Ebenso ist offensichtlich, dass die Amerikaner gegenüber vielen Täter*innen, die schlimmster Verbrechen schuldig waren, Gnade vor Recht ergehen ließen.
Übersicht über die Nachfolgeprozesse:
Fall I: Ärzte-Prozess, 9.12.1946-20.8.1947;
Fall II: Milch-Prozess (Generalfeldmarschall Erhard Milch), 2.1.1947-17.4.1947;
Fall III: Juristen-Prozess, 17.2.-14.12.1947;
Fall IV: Prozess gegen SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, 13.1.-3.11.1947;
Fall V: Flick-Prozess, 18.4.-22.12.1947;
Fall VI: IG-Farben-Prozess, 14.8.1947-30.7.1948;
Fall VII: Prozess gegen in Südosteuropa eingesetzte Generäle, 15.7.1947-19.2.1948;
Fall VIII: Prozess gegen Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, 1.7.1947-10.3.1948;
Fall IX: Einsatzgruppen-Prozess, 15.9.1947-10.4.1948;
Fall X Krupp-Prozess, 8.12.1947-31.7.1948:
Fall XI: Wilhelmstraßen-Prozess (Auswärtiges Amt), 4.11.1947-13.4.1949;
Fall XII: Prozess gegen Oberkommando der Wehrmacht,
30.12.1947-14.4.1949.