Ebenso wie andere Eliten war die Justiz während der NS-Diktatur in weiten Teilen korrumpiert worden. Ein Großteil des Justizpersonals trat der NSDAP und ihren Gliederungen bei; von Nachwuchskräften erwartete man, dass sie Mitglieder wurden. Die meisten Jurist*innen im Staatsdienst erwiesen sich als willige Vollstrecker des NS-Unrechtsstaates. Sie beteiligten sich an den Hochverratsurteilen, die gegen die politischen Gegner*innen vor den ordentlichen Gerichten gefällt wurden oder nahmen an Sondergerichtsverhandlungen bzw. Standgerichtsurteilen teil. Die Opfer dieser Urteile verbüßten lange Haftstrafen in Gefängnis oder Konzentrationslager; etliche wurden sofort exekutiert. Der Rechtsstaat wurde dabei in mehrfacher Hinsicht untergraben: einerseits durch neue Gesetze und Verordnungen, die sich gegen Juden*Jüdinnen, politische Gegner*innen und sogenannte ‚Volks- und Gemeinschaftsfremde‘ richteten, durch die missbräuchliche Anwendung oder Umdeutung bestehender Gesetze und durch Maßnahmen und Verordnungen des Staates, die keine Rechtsgrundlage hatten.
Der Pervertierung der Rechtsordnung hatten die Justiz mehrheitlich tatenlos zugesehen. Die ‚Reichstagsbrandverordnung‘ vom 28.2.1933 setzte die bürgerlichen Grundrechte außer Kraft. Das ‚Ermächtigungsgesetz‘ vom 24.3.1933 räumte der Regierung das Recht ein, Gesetze ohne Rücksicht auf die Gewaltenteilung und ohne Rücksicht auf die Weimarer Verfassung zu erlassen. Gesetze, Verordnungen oder Erlasse wurden nun nach Gutdünken der Exekutive erlassen, ohne dass die Legislative konsultiert werden geschweige denn zustimmen musste. Schon zu Beginn des Dritten Reiches, als Nationalsozialisten politische Gegner*innen oder Juden*Jüdinnen verhafteten, in Konzentrationslager verschleppten oder sofort liquidierten, wurden die wenigen Versuche der Staatsanwaltschaften, die Straftaten zu ahnden, durch vorgesetzte Behörden wie die Justizministerien niedergeschlagen. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 erlaubte die Entlassung politisch missliebiger Personen und Juden*Jüdinnen aus dem Staatsdienst. Das ‚Heimtückegesetz‘ von 1934 schränkte die freie Meinungsäußerung ein und schuf die Handhabe, Personen, die nur abfällige Äußerungen über die NSDAP, ihre Amtsträger*innen oder die NS-Führung machten, mit härtesten Strafen zu belegen. Die ‚Nürnberger Gesetze‘ von 1935 hoben eine wichtige Errungenschaft des Rechtsstaats, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, vollständig auf. Juden*Jüdinnen wurden aufgrund dieser Gesetze ausgegrenzt, verfolgt, später aufgrund weiterer Verordnungen ausgebürgert, deportiert und ermordet. Die ‚Polenstrafrechtsverordnung‘ von 1941 unterzog polnische Staatsangehörige in Polen und im Reich einer Sonderstrafregelung, die sie vollständig rechtlos werden ließ. Ihre rückwirkende Anwendung verstieß ebenso gegen anerkannte Rechtsgrundsätze. Die ‚Volksschädlingsverordnung‘ öffnete der Willkür Tür und Tor, außerdem leistete die Vorstellung des ‚gesunden Volksempfindens‘ populistischen Rachegelüsten Vorschub. Das Motto „Recht ist, was dem Volke nützt“ machte die Justiz zur Dienerin der obskuren ‚Volksgemeinschaft‘ bzw. des ‚Führerwillens‘.
Hinzu kam, dass die Justiz sich aus dem Strafvollzug zurückzog. Die massenhaft verhängte ‚Schutzhaft‘, die gegen Häftlinge in den Konzentrationslagern angewandt wurde, war eine Haft unbegrenzter Dauer, die Haftbedingungen wurden keiner Kontrolle unterzogen, die Häftlinge waren damit vollständig der SS ausgeliefert. Während des Zweiten Weltkrieges wurden insbesondere osteuropäische Zwangsarbeiter*innen der Staatsanwaltschaft nicht mehr vorgeführt, sondern sofort der Gestapo überstellt. Auch im Gefängnis einsitzende Sträflinge wurden auf Befehl des Reichsjustizministeriums kurzerhand zur ‚Vernichtung durch Arbeit‘ in die Konzentrationslager eingewiesen. Selbst aus dem Gefängnis entlassene Personen wurden häufig von der Gestapo erneut inhaftiert - diesmal in Konzentrationslagern, wo viele elend umkamen.
Der Wiederaufbau der deutschen Justizverwaltung nach 1945 war daher alles andere als leicht: Das Personal war teils jenseits jeglicher Rehabilitierung kompromittiert, Bombenschäden hatten sowohl die Gebäude als auch die Aktenbestände in Mitleidenschaft gezogen. In Nürnberg war der Justizpalast in den Händen der Alliierten, die ihn für das Internationale Militärtribunal nutzten, anschließend hielt die amerikanische Besatzungsmacht dort die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse ab. Die deutsche Justizverwaltung behalf sich mit Notquartieren. Nach 1945 musste das Recht von nationalsozialistischen Bestimmungen und Gesetzen gereinigt, gleichzeitig die hohe Kriminalitätsrate bekämpft und Deutschland wieder auf den Weg des Rechtsstaats zurückgeführt werden. Nach dem Vertrauensverlust war eine alliierte Kontrolle über die Justiz bitter nötig, gleichzeitig verlangte die demokratische Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Justiz. Bei der Öffnung der regulären Gerichte setzten die Amerikaner auf Personal, das häufig schon vor 1933 pensioniert worden waren, während die französische und die britische Besatzungsmacht Belastete akzeptierten, solange die Schlüsselpositionen von unbelasteten Personen eingenommen wurden. In der Sowjetisch Besetzten Zone wurden ab 1948 Laien zu ‚Volksrichtern‘ ausgebildet, um die durch die Entlassungen entstandenen Personalengpässe zu mildern.
Zu den heikelsten Aufgaben der Nachkriegsjustiz zählte die Ahndung von NS-Verbrechen. Bei der Aburteilung vieler politischer Gegner*innen oder Juden*Jüdinnen während des Dritten Reiches war die Justiz willfährige Helferin gewesen. Nach 1945 sollten nun die Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden, von denen viele in ihren Verteidigungsstrategien auf die Versäumnisse von Staatsanwaltschaften und Gerichten hinwiesen: Diese hatten dem Novemberpogrom 1938 tatenlos zugesehen und den Unrechtsstaat durch Anklagen und Urteile wesentlich gestützt.
Trotz dieser Hinernisse begann bereits kurz nach Kriegsende an einigen Orten der Gerichtsbetrieb erneut. Die Aufarbeitung von NS-Verbrechen gehörte von Anfang an zu den Aufgaben der deutschen Staatsanwaltschaften und Landgerichte und fand zeitgleich mit den Ahndungsbestrebungen der Alliierten statt. Diese hatten schon während des Krieges Völkerrechtsverletzungen angeprangert und in der „Moskauer Deklaration“ vom 30.10.1943 die justizielle Ahndung angekündigt. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, in den zwöf amerikanischen Nachfolgeprozessen und in zahlreichen anderen Militärgerichtsprozessen in den vier Besatzungszonen wurden die Täter*innen angeklagt und abgeurteilt. In vielen anderen europäischen Ländern standen ebenfalls Täter*innen und Kollaborateur*innen vor Gericht. Die Alliierten konzentrierten sich auf die völkerrechtlich relevanten Straftaten, die während des Krieges begangen wurden. Grundlage war neben dem geltenden Völkerrecht das am 20.12.1945 vom Alliierten Kontrollrat erlassene Gesetz Nr. 10, das sich am Statut des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg orientierte und u.a. Verbrechen gegen die Menschlichkeit definierte.
Seit Sommer und Herbst 1945 gab es erste Prozesse zu NS-Verbrechen vor west- wie vor ostdeutschen Gerichten. Die Besatzungsmächte entfernten in einer Entlassungs- und Verhaftungswelle schwer belastetes Personal und stellten unbelastete Jurist*innen - viele aus der Rechtsanwaltschaft, viele befristet beschäftigt - für den demokratischen Wiederaufbau ein. In der Besatzungszeit waren an wesentlichen Positionen weitgehend unbelastete Jurist*innen im Einsatz, während in der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren nicht zuletzt wegen des Beamtenstatus' und des Anspruchs auf Planstellen die durch den Nationalsozialismus belasteten Personen in den Justizdienst zurückkehrten.
Die NS-Prozesse der deutschen Gerichte betrafen zunächst die Straftaten an Deutschen und Staatenlosen, also z.B. die Überfälle, Enteignungen und Morde an deutschen Juden*Jüdinnen während des Novemberpogroms oder die Tötungen in ‚Euthanasie‘-Anstalten. Recht gesprochen wurde auf der Basis des Strafgesetzbuches nach dem Stand vor dem 30.1.1933. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 wurde in der britischen, französischen und sowjetischen Zone von deutschen Gerichten ausgeführt, nicht aber in der amerikanischen. Ausnahme war der amerikanische Sektor in Berlin. Denunziationen, für die vorzugsweise das Kontrollratsgesetz Nr. 10 angewandt wurde, weil deutsche Strafgesetze nicht griffen, konnten in der amerikanischen Zone vor ordentlichen Gerichten daher nur sehr unvollkommen abgeurteilt werden und mussten meist an die Spruchkammern verwiesen werden.
1948 kam es zu einem nie wieder erreichten Höhepunkt in der Aburteilung von NS-Verbrechen in Westdeutschland. Nie mehr wurden so viele Personen angeklagt und verurteilt wie in diesem Jahr. 70 % aller Verurteilungen wegen nationalsozialistischer Verbrechen ergingen während der Besatzungszeit (bis 1949), weitere 20 % bis 1955. Die betroffenen Verbrechenskomplexe waren häufig Denunziationen (38 % der Verfahren), das Novemberpogrom (ca. 15 %) und Verbrechen an den politischen Gegnern im Jahr 1933 (ca. 15 %). Abgeurteilte Delikte waren Körperverletzung, Landfriedensbruch und Freiheitsberaubung, aber auch Mord.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden 1949 und 1954 zwei Amnestiegesetze erlassen, die in mancher Hinsicht als Abschluss für die ‚Aufarbeitung‘ der NS-Vergangenheit gedacht waren. Straftaten, die mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bedroht waren, konnten für straffrei erklärt werden. Ab 1954 konnten Strafen bis zu drei Jahren Gefängnis erlassen werden, sofern die Verbrechen unter einer Annahme einer „Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht“ in der Endphase des Dritten Reiches bzw. im Sommer nach der Kapitulation begangen worden waren. Gleichzeitig zogen sich die Alliierten aus der Ahndung zurück: das Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission von Novmber 1949 gestattete der deutschen Justiz, sich auch mit Straftaten an alliierten Opfern zu befassen. 1951 zogen der britische und der französische Hohe Kommissar die Erlaubnis zur Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 zurück, das deutsche Jurist*innen wegen des rückwirkenden Charakters stets in der Mehrheit abgelehnt hatten. Gleichzeitig kam es zur Verjährung von Straftaten mit geringer Strafandrohung (z.B. Körperverletzung).
Die Zahl der Verfahren wegen NS-Verbrechen vor deutschen Gerichten ging in den 1950er-Jahren zunächst laufend zurück. Dies traf auch auf die Justiz in der DDR zu, die mit den ‚Waldheim-Verfahren‘ 1950 ebenfalls einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollte: Die aus sowjetischen Spezial- und Internierungslagern übergebenen Gefangenen mussten – mit teils völlig hanebüchenen Begründungen – verurteilt werden, weil dies von den Sowjets erwartet wurde. Während in der DDR von 1950 bis 1989 kaum mehr Prozesse stattfanden, wurden in den in der DDR herausgegebenen sogenannten ‚Braunbüchern‘ das Justizpersonal der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer NS-Vergangenheit konfrontiert, was auch zu einigen wenigen Pensionierungen und Amtsverzichten führte.
Die Beschäftigung der Justiz mit der NS-Vergangenheit schien sich bereits Anfang der 1950er-Jahre einem Ende zu nähern. 1954 wurden von allen westdeutschen Staatsanwaltschaften nur noch etwa 160 neue Verfahren eingeleitet. 1955 lief die Verjährungsfrist für zahlreiche weitere Straftaten wie Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Freiheitsberaubung ab. Mit dem „Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“, der als ‚Überleitungsvertrag‘ bekannt geworden ist, erkannte die Bundesrepublik Deutschland 1955 die Urteile der westlichen Alliierten wie etwa die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse an. Dort Verurteilte, die in den Genuss großzügiger Gnadenerweise gekommen waren, konnten wegen des Rechtsprinzips „ne bis in idem“ (keiner darf für die selbe Sache zweimal verurteilt werden) nicht mehr vor deutsche Gerichte gestellt werden.
Schien Mitte der 1950er-Jahre das Ende der westdeutschen NS-Prozesse programmiert, brachte 1958 der sogenannte Ulmer Einsatzgruppenprozess eine Wende. Bei der Ermittlung der Massenmorde des Einsatzkommandos Tilsit stellte sich heraus, dass trotz umfangreicher alliierter und deutscher Befassung eine große Zahl schwerer NS-Verbrechen immer noch völlig unbekannt waren. Dies führte zur Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen 1958 in Ludwigsburg (Baden-Württemberg). Erstmals wurden NS-Verbrechen nun systematisch ermittelt und akribisch nach Täter*innen und Taten geforscht, während vorher oft der Zufall zu Verfahren geführt hatte. Die Einstufung der Täter als Gehilfen des Mordes (nicht selbst als Mörder) im Ulmer Einsatzgruppenprozess sollte aber als Vorbild für weitere NS-Prozesse durchaus problematisch werden, weil Beihilfe zum Mord ein geringeres Strafmaß nach sich zog.
1960 verjährte der Straftatbestand des Totschlags. Nun konnten nur noch Mord bzw. Beihilfe dazu verfolgt werden. 1965 wäre nach der damals üblichen Frist auch Mord verjährt. Der Eichmann-Prozess in Jerusalem (1961) und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse machten deutlich, dass sowohl in der deutschen als auch internationalen Öffentlichkeit das Thema der NS-Verbrechen keinesfalls ad acta gelegt werden konnte. Der Bundestag beschloss eine neue Verjährungsfrist, zunächst, indem der Tag, ab dem die Frist zu laufen begann, vom 8.5.1945 auf den 1.1.1950 verlegt wurde, 1969 wurde die Verjährung für Mord auf 30 Jahre verlängert. 1979 entschied der Bundestag, Mord ganz allgemein (nicht nur in Verbindung mit dem NS-Regime) für unverjährbar zu erklären.
Seit 1945 ist kein Jahr vergangen, in dem nicht von der deutschen Justiz zu NS-Verbrechen ermittelt wurde. Kritiker*innen bemängeln, dass die Verfahren oft zu spät eingeleitet wurden und dass es zu nur wenig Verurteilungen kam. Wer die vielfältigen Hindernisse (alliierte Vorbehalte, vom Gesetzgeber vorgegebene Regelungen, selbst Tücken des Strafgesetzbuches) in Rechnung stellt, wird aber auch das ernsthafte Bemühen der Justiz um Aufklärung nicht negieren können, selbst wenn die Zahl der Verurteilungen gering blieb.
Zwischen 1945 und 2019 kam es gegen etwa 175.000 namentlich bekannte Beschuldigte zu über 37.000 westdeutschen Ermittlungsverfahren wegen NS-Verbrechen. Viele der Verfahren mussten mangels Beweises oder wegen Nichtermittlung des Aufenthalts der Person eingestellt werden, teils verhinderten Amnestien, Verjährung, Verhandlungsunfähigkeit oder Tod der Beschuldigten die Fortführung. Nur in etwa 16 % aller Fälle kam es zu Anklagen. Es fanden insgesamt rund 5000 Prozesse statt, gegen 14.000 Angeklagte ergingen rechtskräftige Urteile. 48 % von ihnen (6676 Angeklagte) wurden verurteilt. Bei den 6676 Verurteilungen betrafen etwas über 1000 ein Tötungsverbrechen. Etwa 60 % aller Verurteilungen endeten mit geringen Haftstrafen (sechs Monate bis ein Jahr Freiheitsstrafe), nur 9 % der Haftstrafen überstiegen mehr als fünf Jahre. Nur in 182 Fällen erkannten die Gerichte auf lebenslangen Freiheitsentzug oder (in den Jahren bis 1949) auf Todesstrafe.
In SBZ und DDR wurden über 15.000 Verfahren gegen mehr als 22.000 Beschuldigte und Angeklagte abgehalten, die vor allem in den Jahren 1945 bis 1949/50 stattfanden. Bei einem Teil handelt es allerdings um Entnazifizierungsverfahren zur politischen Säuberung, die keine strafrechtlichen Belastungen enthielten, andere waren Prozesse gegen Tote oder Abwesende. Seit 1949/1950 waren die dortigen Verfahren einer immer stärkeren Politisierung unterworfen.