Über die Ausstellung
Wie bedeutsam die Geschichte für unsere Gegenwart und Zukunft ist, erfasste der Historiker John Henrik Clarke mit einem treffenden Bild: “History is a clock that people use to tell their political and cultural time of day. It is also a compass that people use to find themselves on the map of human geography. History tells a people, where they have been and what they have been, where they are, and what they are. Most important, history tells people where they still must go, what they still must be.” (John Henrik Clarke,1996)
Historische Ereignisse und unser Wissen darüber prägen unser Verständnis der heutigen Welt sowie unsere Vorstellungen von Zukünftigem. Gedenken im Sinne eines kollektiven Erinnerns ist eng mit den Erfahrungen von Gegenwart verbunden. Aus diesem Grund kann niemals eine abschließende Bilanz gezogen werden, und Geschichte muss immer wieder hinterfragt und neu kontextualisiert werden. Dabei stellen sich auch Fragen danach, wer Vergangenheit vor welchem Erfahrungshorizont deutet. Welche Geschichten werden erzählt und wessen Geschichten werden gehört – oder werden bewusst oder unbewusst verdrängt? Wie gehen wir mit Vielstimmigkeit und Ambivalenz um?
Die in Tell me about yesterday tomorrow versammelten Kunstwerke widmeten sich einer Vielzahl von Themen: dem Wiedererstarken von Nationalismus, Rassismus oder Antisemitismus; der gewaltvollen Ausbeutung von Mensch und Natur, den kulturellen wie politischen Auswirkungen von Krieg, Unterdrückung und Trauma, sowie der Darstellung nationaler Mythen. Sie erzählten davon, wie gesellschaftliche Gruppen emotional mobilisiert werden, indem Ängste ebenso wie Sehnsüchte heraufbeschworen werden, wie Menschen als ‚Andere‘ stigmatisiert und kollektive Narrative zugunsten politischer Ideologien vereinnahmt werden. Die internationale Perspektive der Ausstellung trugt der globalen Dimension dieser krisenhaften Erscheinungen Rechnung.
Für die Zukunft unserer Demokratien spielt Erinnerungskultur eine unerlässliche Rolle. Sie schafft nicht nur ein Bewusstsein für die historischen Bedingungen, die zu Ausgrenzung, Abwertung und Zerstörung führten, sondern auch für unsere Verantwortung, dass sich diese von Menschen geschaffenen und beeinflussten Prozesse nicht wiederholen. Vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtspopulistischer, autokratischer und faschistischer Tendenzen weltweit ist die Reflektion von Geschichte wichtiger denn je. Es gilt, aus der historischen Erfahrung heraus Visionen für ein offenes, gesellschaftliches Zusammenleben zu entwickeln und dabei auf die positiven Werte zu verweisen, die seit der Überwindung der Diktatur entstanden sind – ein Potential, das Hannah Arendt als das größte und grundlegendste des Menschen verstand: die Fähigkeit zu überdenken, neu zu denken und etwas zu schaffen, was vorher nicht war.
Entstanden in enger Zusammenarbeit zwischen Kunst und Geschichtswissenschaft, adressierte Tell me about yesterday tomorrow die Komplexität von Geschichtsschreibung und bot die Chance, deutsche Vergangenheit im Kontext internationaler Entwicklungen zu betrachten. Als Möglichkeit des politischen Denkens ergänzt die Kunst die historische Erinnerungsarbeit und bietet Reflektionen zur Bedeutung und Zukunft einer gemeinsamen, transnationalen Erinnerung an.
Der Blick zurück wird zum Blick nach vorn. Er verweist auf das, was einmal war und was sein kann – nicht als vereinfachende Gleichsetzung von historischen und gegenwärtigen Ereignissen, sondern um zu sensibilisieren, für das, was ähnlich ist und was wir aus der historischen Erfahrung lernen können. Insofern bot die Ausstellung keine abgeschlossene, lineare Abhandlung an, sondern zeichnete ein komplexes Bild vergangener wie aktueller Wirklichkeiten. Dabei wurden auch Ambivalenzen menschlichen Handelns oder diffuse Tendenzen spürbar, die sich noch nicht eindeutig benennen lassen. Tell me about yesterday tomorrow stellte Verbindungen zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem her, um daran zu erinnern, dass Geschichte immer nachwirkt und wir sensibel sein sollten, Ähnlichkeiten zu erkennen, damit sich Unheilvolles nicht wiederholt.
Projektteam
Direktorin Mirjam Zadoff
Künstlerische Leitung Nicolaus Schafhausen
Assistenzkuratorin Juliane Bischoff
Projektleitung Anke Hoffsten
Projektorganisation Sonja Eschenbach
Produktion und Technik Michael Busam, Josef Köttl, Jürgen Goligowski, Ibrahim Özcan
Architektur Buero Kofink Schels: Simon Jüttner, Sebastian Kofink, Markus Stolz
Design Boy Vereecken und Antoine Begon
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Kirstin Frieden, Ilona Holzmeier, Thomas Zörr
Vermittlung Nathalie Jacobsen, Dirk Riedel, Thomas Rink, Elisabeth Schulte
Audioguide Nils Emmerichs, Bernhard Jugel
Mitarbeit Nils Emmerichs, Andreas Eichmüller
Medienpartner Deutschlandfunk Kultur
Partner*innen Benediktinerabtei St. Bonifaz München, Kulturreferat der Landeshauptstadt München, Programm Kunst im öffentlichen Raum, Ludwig-Maximilians-Universität München, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Danksagung Wir danken allen Künstler*innen, Partner*innen, Leihgeber*innen und Unterstützer*innen, die durch ihre kreative Mitwirkung und großzügige Förderung zum Gelingen des Projekts beigetragen haben.