Foto: © Süddeutsche Zeitung Photo | Design: Boy Vereecken

Tell me about yesterday tomorrow Ausstellung

Eine Ausstellung über die Zukunft der Vergangenheit
28. Nov. 2019 bis 18. Okt. 2020

Über die Ausstellung

“The purpose of art is to lay bare the questions that have been hidden by the answers.” (James Baldwin)

Die Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow brachte zeitgenössische Kunst in einen Dialog mit der Erinnerungsarbeit des NS-Dokumentationszentrums München. Werke von über 40 internationalen Künstler*innen beschäftigten sich vor dem Hintergrund der historischen Ausstellung mit der Deutung von Vergangenheit und deren Anknüpfung an unsere heutige Zeit. Die zu einem großen Teil neuen Arbeiten öffneten den Blick auf globale Lebensrealitäten, erweiterten die deutsche Geschichte um internationale Perspektiven und spannten vielstimmige Erzählungen von Vergangenem und Zukünftigem auf. Vermittelt durch die Medien Malerei, Fotografie, Installation, Video oder Performance vermittelten Künstler*innen unterschiedlicher Generationen, aus der Zeit des Nationalsozialismus bis heute, vielgestaltige Bilder von Geschichte, die ebenso von individuellen Erfahrungen wie von strukturellen Zusammenhängen berichteten. Dabei handelte es sich sowohl um ausgewählte künstlerischen Werke aus der NS-Zeit und der letzten Jahrzehnte sowie neue, eigens für diesen Kontext entworfene Arbeiten.

Wie bedeutsam die Geschichte für unsere Gegenwart und Zukunft ist, erfasste der Historiker John Henrik Clarke mit einem treffenden Bild: “History is a clock that people use to tell their political and cultural time of day. It is also a compass that people use to find themselves on the map of human geography. History tells a people, where they have been and what they have been, where they are, and what they are. Most important, history tells people where they still must go, what they still must be.” (John Henrik Clarke,1996)

Historische Ereignisse und unser Wissen darüber prägen unser Verständnis der heutigen Welt sowie unsere Vorstellungen von Zukünftigem. Gedenken im Sinne eines kollektiven Erinnerns ist eng mit den Erfahrungen von Gegenwart verbunden. Aus diesem Grund kann niemals eine abschließende Bilanz gezogen werden, und Geschichte muss immer wieder hinterfragt und neu kontextualisiert werden. Dabei stellen sich auch Fragen danach, wer Vergangenheit vor welchem Erfahrungshorizont deutet. Welche Geschichten werden erzählt und wessen Geschichten werden gehört – oder werden bewusst oder unbewusst verdrängt? Wie gehen wir mit Vielstimmigkeit und Ambivalenz um?

Die in Tell me about yesterday tomorrow versammelten Kunstwerke widmeten sich einer Vielzahl von Themen: dem Wiedererstarken von Nationalismus, Rassismus oder Antisemitismus; der gewaltvollen Ausbeutung von Mensch und Natur, den kulturellen wie politischen Auswirkungen von Krieg, Unterdrückung und Trauma, sowie der Darstellung nationaler Mythen. Sie erzählten davon, wie gesellschaftliche Gruppen emotional mobilisiert werden, indem Ängste ebenso wie Sehnsüchte heraufbeschworen werden, wie Menschen als ‚Andere‘ stigmatisiert und kollektive Narrative zugunsten politischer Ideologien vereinnahmt werden. Die internationale Perspektive der Ausstellung trugt der globalen Dimension dieser krisenhaften Erscheinungen Rechnung.

Für die Zukunft unserer Demokratien spielt Erinnerungskultur eine unerlässliche Rolle. Sie schafft nicht nur ein Bewusstsein für die historischen Bedingungen, die zu Ausgrenzung, Abwertung und Zerstörung führten, sondern auch für unsere Verantwortung, dass sich diese von Menschen geschaffenen und beeinflussten Prozesse nicht wiederholen. Vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtspopulistischer, autokratischer und faschistischer Tendenzen weltweit ist die Reflektion von Geschichte wichtiger denn je. Es gilt, aus der historischen Erfahrung heraus Visionen für ein offenes, gesellschaftliches Zusammenleben zu entwickeln und dabei auf die positiven Werte zu verweisen, die seit der Überwindung der Diktatur entstanden sind – ein Potential, das Hannah Arendt als das größte und grundlegendste des Menschen verstand: die Fähigkeit zu überdenken, neu zu denken und etwas zu schaffen, was vorher nicht war.

Entstanden in enger Zusammenarbeit zwischen Kunst und Geschichtswissenschaft, adressierte Tell me about yesterday tomorrow die Komplexität von Geschichtsschreibung und bot die Chance, deutsche Vergangenheit im Kontext internationaler Entwicklungen zu betrachten. Als Möglichkeit des politischen Denkens ergänzt die Kunst die historische Erinnerungsarbeit und bietet Reflektionen zur Bedeutung und Zukunft einer gemeinsamen, transnationalen Erinnerung an.

Der Blick zurück wird zum Blick nach vorn. Er verweist auf das, was einmal war und was sein kann – nicht als vereinfachende Gleichsetzung von historischen und gegenwärtigen Ereignissen, sondern um zu sensibilisieren, für das, was ähnlich ist und was wir aus der historischen Erfahrung lernen können. Insofern bot die Ausstellung keine abgeschlossene, lineare Abhandlung an, sondern zeichnete ein komplexes Bild vergangener wie aktueller Wirklichkeiten. Dabei wurden auch Ambivalenzen menschlichen Handelns oder diffuse Tendenzen spürbar, die sich noch nicht eindeutig benennen lassen. Tell me about yesterday tomorrow stellte Verbindungen zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem her, um daran zu erinnern, dass Geschichte immer nachwirkt und wir sensibel sein sollten, Ähnlichkeiten zu erkennen, damit sich Unheilvolles nicht wiederholt.
 

Projektteam

Direktorin Mirjam Zadoff
Künstlerische Leitung Nicolaus Schafhausen
Assistenzkuratorin Juliane Bischoff
Projektleitung Anke Hoffsten
Projektorganisation Sonja Eschenbach
Produktion und Technik Michael Busam, Josef Köttl, Jürgen Goligowski, Ibrahim Özcan
Architektur Buero Kofink Schels: Simon Jüttner, Sebastian Kofink, Markus Stolz
Design Boy Vereecken und Antoine Begon
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Kirstin Frieden, Ilona Holzmeier, Thomas Zörr
Vermittlung Nathalie Jacobsen, Dirk Riedel, Thomas Rink, Elisabeth Schulte
Audioguide Nils Emmerichs, Bernhard Jugel
Mitarbeit Nils Emmerichs, Andreas Eichmüller
Medienpartner Deutschlandfunk Kultur
Partner*innen Benediktinerabtei St. Bonifaz München, Kulturreferat der Landeshauptstadt München, Programm Kunst im öffentlichen Raum, Ludwig-Maximilians-Universität München, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Danksagung  Wir danken allen Künstler*innen, Partner*innen, Leihgeber*innen und Unterstützer*innen, die durch ihre kreative Mitwirkung und großzügige Förderung zum Gelingen des Projekts beigetragen haben.

Infos

Laufzeit
28. Nov. 2019 bis 18. Okt. 2020

Kurator*innen
Nicolaus Schafhausen, Juliane Bischoff und Mirjam Zadoff

Publikation
Tell me about yesterday tomorrow. Ein Buch über die Zukunft der Vergangenheit

Social Media
#yesterday2morrow | @nsdoku

Föderung und Unterstützung
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes

Das Projekt war Teil des Kulturprogramms von Kanadas Gastlandauftritt bei der Frankfurter Buchmesse 2020. Es wurde unterstützt durch das Canada Council for the Arts und die Regierung von Kanada.

Trailer zur Ausstellung

Um dieses Video zu sehen, muss dem Dienst „YouTube" zugestimmt werden.

Künstler*innen & Kunstwerke

Kader Attia

The Body’s Legacies, Part 1: The Objects, 2018
The Body’s Legacies, Part 2: The Postcolonial Body, 2018

Mehr erfahren

Sammy Baloji

Untitled #21, 2006
Aus der Serie Mémoire

Mehr erfahren

Brenda Draney

Tulip, 2019
Vacuum, 2019
Ingrid, 2019
Wake, 2019

Mehr erfahren

Aslan Ġoisum

People of No Consequence, 2016
Keicheyuhea, 2017

Mehr erfahren

Sebastian Jung

KZ-Gedenkstätte Dachau am 9. August 2019
KZ-Gedenkstätte Buchenwald am 16. Oktober 2019
Besorgte Bürger
Rechtsextremer Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019

Mehr erfahren

Annette Kelm

Travertinsäulen, Recyclingpark Neckartal (Sommer, Parkplatz, morgens), 2019
Verbrannte Bücher, 2019

Mehr erfahren

Baseera Khan

Nike ID #1, 2018
Purple Heart, 2017
I AM A BODY, 2018
iamuslima, 2018

Mehr erfahren

Ken Lum

Coming Soon, 2009

Mehr erfahren

Jumana Manna

A Magical Substance Flows Into Me, 2015

Mehr erfahren

Paula Markert

Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU, 2014 – 2017

Mehr erfahren

Michaela Meise

Antifaschistische Schlager und Chansons, 2019

Mehr erfahren

Artur (Stefan) Nacht-Samborski

Martwa Natura z Kwiatami w Wazonie (Stillleben mit Blumenvase), 1950
Martwa Natura (Dzban Liliowy) (Stillleben [Lilienkrug]), undatiert

Mehr erfahren

Olaf Nicolai

Viele, die eine Ahnung haben..., 1999

Mehr erfahren

Marcel Odenbach

Ordnung muß sein, 2019
im Land der Dichter und Denker, 2019
Das große Fenster – Einblick eines Ausblicks, 2001

Mehr erfahren

Emeka Ogboh

Sufferhead Original – Munich Edition, 2019

Mehr erfahren

Trevor Paglen

The Effect Was Almost Magical, 2019

Mehr erfahren

Harald Pickert

Aus der Serie Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45

Mehr erfahren

Jon Rafman

Disasters Under The Sun, 2019

Mehr erfahren

Willem de Rooij

Vorhaben zum Gedenken an ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘, 2019

Mehr erfahren

Cemile Sahin

„ich glaube reporterin cemile sahin war lange nicht mehr in der türkei“, 2017

Mehr erfahren

Gregor Schneider

Suppe auslöffeln, Geburtshaus Goebbels, Odenkirchener Str. 202, Rheydt, 2014

Mehr erfahren

Hito Steyerl

Die leere Mitte, 1998
Normalität 1-X, 1999–2001

Mehr erfahren

Eröffnung | 27. Nov. 2019

Eröffnung

Unter dem Titel Long way to Laramie, Wyoming hielt die polnische Kunsthistorikerin Anda Rottenberg die Keynote der Eröffnung, anschließend gaben die Direktorin des NS-Dokumentationszentrum München, Mirjam Zadoff, und der Kurator der Ausstellung, Nicolaus Schafhausen, eine Einführung in die Ausstellung.

Um dieses Video zu sehen, muss dem Dienst „YouTube" zugestimmt werden.

Publikation

Tell me about yesterday tomorrow. Ein Buch über die Zukunft der Vergangenheit.

Eine interdisziplinäre Autor*innenschaft aus den Bereichen Geschichte, Kunst, Philosophie, Journalismus, Lyrik, Gender und Urban Studies beschäftigte sich mit der Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Publikation ist 2021 im Hirmer Verlag erschienen.

Am 11. Sept. 2021 diskutierten die Herausgeber*innen Nicolaus Schafhausen und Mirjam Zadoff die Publikation mit Dorothea Schöne (Kunsthauses Dahlem) und der Schriftstellerin Monika Rinck.

Mehr zur Publikation
Publikation online erwerben

Um dieses Video zu sehen, muss dem Dienst „YouTube" zugestimmt werden.

Projekte im Rahmen der Ausstellung

Digitale Assembly

18. bis 28. Juni 2020

Im Zentrum der digitalen Assembly im Juni 2020 entstand die Podcastreihe History is not the Past, die Beiträge von Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Kurator*innen, Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Musiker*innen über Gegenwartsfragen und Zukunftsszenarien versammelt. Im Spannungsfeld von Geschichte, Gesellschaft und Kultur wird die Relevanz von Erinnerung für die Zukunft unserer Demokratien verhandelt. Für die künftige Gestaltung der Gesellschaft ist der Blick in die Vergangenheit unerlässlich, denn ohne Erinnerung verlieren wir unsere Zukunft. In 11 Folgen finden sich Diskussionen, Vorträge und Lesungen von mehr als 30 Teilnehmenden, gerahmt von Musik von Dota Kehr, Michaela Meise und Maya Shenfeld.

Podcast

Episode 10: Erinnerung und Institutionen

Charlotte Wiedemann, Stefanie Schüler-Springorum und Sonja Zekri über eine inklusive Gedenkkultur. Clémentine Deliss und Mirjam Zadoff über den Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft.

Podcast anhören

Podcast

Episode 8: Kunst und Erinnerung

Michaela Melián und Willem de Rooij über ihren künstlerischen Umgang mit Vergangenheit, Gegenwart und Erinnerung. Lena Gorelik liest aus Ich habe Angst.

Podcast anhören

Podcast

Episode 1: History is not the Past

Juliane Bischoff, Nicolaus Schafhausen und Mirjam Zadoff sprechen über die durch die Covid-19-Krise bedingten gesellschaftlichen Veränderungen.

Podcast anhören

Video

East West Street

Um dieses Video zu sehen, muss dem Dienst „YouTube" zugestimmt werden.

Video-Performance mit Philippe Sands, den Schauspielerinnen Katja Riemann und Jasmin Tabatabai, dem Bassbariton Laurent Naouri und dem Jazz-Pianisten Guillaume de Chassy.

Podcast

Episode 2: Global developments

New York Times Journalist Roger Cohen und Mirjam Zadoff werfen einen Blick auf die globale Verschiebung politischer Diskurse.

Podcast anhören

Sonstiges

Europa Eiswetter

Online-Publikation von Sebastian Jung zu den Ereignissen im Umfeld der Corona-Krise.

Zu eiswetter.eu

Auszeichnungen

Frieze: Top 10 Shows in the EU of 2020

The creeping normalization of far-right thinking is an issue that can’t be addressed often enough.“ (Frieze Magazine)

Das Frieze Magazine zählte Tell me about yesterday tomorrow zu den Top 10 Shows in the EU of 2020.

Zum Artikel

ART-Kuratorenpreis 2019

Neben 11 weiteren Ausstellungen wurde Tell me about yesterday tomorrow  für den ART-Kuratorenpreis 2019 des ART Kunstmagazins nominiert.

Pressemeldung des ART Kunstmagazin vom 3. März 2020

Pressestimmen

„Diese Gruppenausstellung ist eine der besten, die in den letzten Jahren in München zu sehen war“

Kann Kunst die Erinnerung an den Nationalsozialismus bewahren? von Martin Zeyn im Bayerischen Rundfunk, 28. November 2019

„Die Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow konfrontiert die Geschichte des Nationalsozialismus mit Kunst – sie ist überraschend und wegweisend.“

NS-Dokumentationszentrum: Wie zeitgenössische Kunst die NS-Geschichte erzählt von Jörg Häntzschel in Süddeutsche Zeitung, 30. November 2019

Tell me about yesterday tomorrow ist eine starke Botschaft des weltoffenen München, in dem kein Platz für Rassismus und Fremdenhass ist.“

Die Schau „Tell me about yesterday tomorrow" im NS-Dokuzentrum von Roberta De Righi in Abendzeitung, 2. Dezember 2019

„Die Stadt München, die immer damit zauderte, sich der Aufarbeitung ihrer eigenen NS-Geschichte zu stellen, [...] setzt mit dieser furchtlosen und waghalsigen Ausstellung erstmals als Allererstes ein Zeichen für eine neue Erinnerungskultur.“

So etwas sah man noch nie von Timo Feldhaus in der Freitag, 5. Dezember 2019

„Kulturelle Diversität erfordert nicht Anpassung, sondern die Einladung zur Teilhabe an einer politischen Kultur des Gedenkens. Mit dem Ausritt in die Kunst hat das Münchner NS-Dokumentationszentrum viel riskiert und viel gewonnen.“

NS-Dokumentationszentrum München: Erinnern, um die Welt neu zu denken von Uwe Mattheiß in Der Standard, 12. Dezember 2019